Nordirland: Straßenschlachten und antiimperialistischer Kampf

In letzter Zeit liest man wieder öfter von Ausschreitungen und Übergriffen zwischen Protestant_innen und Katholik_innen in Nordirland. Diese Konflikte, die von den bürgerlichen Medien als „Religionskrieg“ verschrien werden, haben eine lange Geschichte in Irland. Doch die Hintergründe sind alles andere als religiöser Art – es handelt sich um einen der letzten offenen imperialistischen Konflikte in West-Europa. Denn auch wenn es arme Jugendliche aus der Arbeiter_innenklasse sind, die sich jetzt mit Pflastersteinen und Molotov-Cocktails bekriegen steht dahinter die Frage der Unabhängigkeit Irlands und der letzten englischen Kolonie, Nordirland. Dieser Kampf hat eine lange Geschichte und ist noch lange nicht beendet.

Die letzten größeren Ereignisse, die das Auge der Weltöffentlichkeit wieder auf Nordirland blicken ließen waren ein Überfall auf die katholische Siedlung Short Strands in Belfast und ein Angriff katholisch-republikanischer (also für eine unabhängige Republik Irland/Eire eintretender) Jugendlicher auf die traditionelle Parade des unionistischen (also Großbritannien und der Krone treuen) Orange Order. Der erste Angriff war ein typischer Übergriff in Belfast. Das Viertel Short Strands liegt, anders als die anderen armen katholischen Siedlungen in Belfast im westlichen, überwiegend protestantischen Teil. Dieses Viertel war immer wieder Ziel von politisch motivierten Plünderungen, Brandstiftungen und Morden und damit eine „Geisel“ in der Hand unionistischer Gruppen für das „Wohlverhalten“ der republikanischen Minderheit in Nordirland.

Währenddessen hielt eine rein protestantische Gruppe aus dem 19. Jahrhundert, der „Orange Order“, als erklärtes Ziel Reichtum und politische Macht in protestantischen Händen. Diese Unterdrückungs-Herrschaft ist über die Jahrzehnte schwächer geworden, doch die traditionellen Aufmärsche, die provokativ durch die Wohngebiete der gegnerischen Fraktion geführt werden sind noch immer eine jährliche Gelegenheit, die Vorherrschaft der Unionist_innen zur Schau zu stellen – und damit immer wieder ein Auslöser für militanten Widerstand armer Jugendlicher.

 

700 Jahre Unterdrückung…

Nordirland, das sind die nördlichen 6 Grafschaften („Counties“) Irlands (Antrim, Armagh, Derry, Down, Fermanagh und Tyrone). Nach dem fast 700-jährigen Unabhängigkeitskampf Irlands gegen die englische Kolonialisierung blieb dieses Gebiet bei der englischen Krone, während der „Freistaat“ Irland und später die Republik Eire formell unabhängig wurden. Der geschichtliche Grund für die Spaltung des Landes war die Ansiedlung protestantisch-kronentreuer Untertanen aus Schottland in den fruchtbarsten Gebieten Irlands, vor allem im Norden. Diese Politik sollte im 17. Jahrhundert die wirtschaftlichen Ressourcen Irlands aus katholischen Händen fernhalten. Dementsprechend wurden in Nordirland protestantische Bauern, Unternehmer_innen und auch Arbeiter_innen mit massiven Privilegien ausgestattet. Die religiösen Unterschiede wurden in der nordirischen Apartheidspolitik (also einer Politik, die eine relevante Gruppe aufgrund religiöser oder ethnischer Gründe massiv benachteiligt) immer wieder genutzt, um die Arbeiter_innen und unterdrückten Schichten zu spalten. Heute gibt es in Nordirland eine knappe unionistische Mehrheit, die von kleinbürgerlichen und religiösen Führer_innen gegen die katholische Minderheit aufgehetzt wird. Großbritannien gibt vor, zu deren Schutz auf der Besetzung Nordirlands zu beharren, in Wirklichkeit tun sie das jedoch aufgrund der militärisch-strategischen und der wirtschaftlichen Vorteile.

Irland war bis 1921 eine englische Kolonie die mit äußerster Grausamkeit und Arroganz gegenüber der einheimischen Bevölkerung regiert wurde. Gleichzeitig handelte es sich bei Irland bis in die 1980er Jahre um eines der ärmsten Gebiete Europas, wo Armut immer wieder zu Hungersnöten und Massenauswanderung führte. Ein Beispiel für diese menschenverachtende Politik ist die Große Hungersnot am Ende des 19. Jahrhundert. Damals starben eine Million Irinnen und Iren und zwei Millionen mussten auswandern während unionistische Bauern weiterhin Weizen nach England exportierten.

 

… und Widerstand

Auf diesem Boden fand einer der aktivsten Freiheitskämpfe Europas statt, aus dem auch die nationalistisch-terroristische Freiheitsarmee IRA (Irish Republican Army) hervor ging. Diese Gruppe war zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine gut organisierte Armee, die Zehntausende „Volunteers“ (Freiwillige) gegen die englische Besatzung vereinigte. Während des Ersten Weltkriegs begann sie 1916 mit dem „Osteraufstand“ den Anglo-Irischen Krieg, der 1921 endete. Ein Teil der Armee („Freestaters“ genannt) ging dann ein Bündnis mit den englischen Imperialist_innen ein und akzeptierte die Spaltung des Landes und einen Eid auf die englische Krone, wobei die reichsten Gebiete, das heutige Nordirland bei England blieben. Der andere Teil der IRA führte den Kampf weiter und erkannte dabei weder das irische Parlament (den „Dail“ in Dublin) noch die nordirische Autonomieverwaltung in Stormont an. Diese Gruppe ist nach mehreren Spaltungen, in der vor allem ein Großteil der sozialistischen Mitglieder den bewaffneten Kampf aufgaben, kaum mehr aktiv. Vor allem der „peace process“ der in den 80ern begann führte zur Entwaffnung der IRA und der absurden Situation, dass der ehemalige „Chief of Staff“ der berüchtigten Provisional IRA, Gerry Adams, heute Führer der zweitgrößten nordirischen Partei, Sinn Fein (gälisch für „Wir selbst“) ist.

Vor allem in Nordirland konnte die IRA ihren Anspruch halten, die Verteidigung der republikanischen Minderheit wahr zu nehmen. Ab dem 2. Weltkrieg wurden Katholik_innen in Nordirland immer schlimmer unterdrückt, ihnen wurden Jobs ganz offiziell vorenthalten und ihre Rolle als Teil der Gesellschaft in der Öffentlichkeit verleugnet. Während der „Special Powers Act“ es erlaubte, republikanische Aktivist_innen ohne Anklage zu durchsuchen, festzunehmen, zu internieren und sogar körperlich zu züchtigen („flogging“) wurden die zunehmenden Überfälle durch militant unionistische Mobs auf katholische Wohngebiete geduldet. Hier waren es Kräfte wie die Ulster Volunteer Force, UVF, oder die „Murder Gang“ die mit wahllosen Morden und Brandstiftung die katholischen Gebiete in Panik versetzten, während die Provisional IRA (PIRA) und Saor Uladh (gälisch für „Ulsters Kampf“) die Verteidigung der republikanischen Gebiete bewaffnet in die Hand nahm.

 

Klar Position beziehen!

In dieser Situation müssen wir anerkennen, dass die Besetzung Nordirlands (bis vor 2 Jahren durch mehr als Zehntausend britische Soldat_innen) eine imperialistische Besatzung darstellt. Die Apartheidspolitik gegen die einheimische Bevölkerung und der militärische Widerstand gegen die Einheit Irlands, vor allem aber die wirtschaftliche Ausbeutung durch britische Kapitalist_innen machen diesen Konflikt zu einem Schauplatz des antiimperialistischen Kampfes. Denn wir können nicht zusehen, wie eine Militärmacht wie Großbritannien die reichsten und am meisten industrialisierten Gebiete eines Landes für sich beansprucht und gleichzeitig die Arbeiter_innenklasse an religiösen Linien zu spalten versucht.

Die Benachteiligung der katholischen Minderheit fand und findet in Nordirland auf fast jeder Eben statt – auf politischer Ebene wurden Wahlbezirke so eingeteilt, dass nach dem Mehrheitswahlrecht so wenige republikanische Abgeordnete wie möglich in das nordirische „Parlament“ einzogen (So wurde Derry, wo 36.000 Katholik_innen 17.000 Protestant_innen gegenüberstanden so aufgeteilt, dass in der Wahl 1968 ein unionistischer Hardliner nach Stormont entsandt wurde). Eine Studie des Belfast Telegraph stellte 1969 fest dass etwa einem Viertel der erwachsenen Bevölkerung das Stimmrecht auf verschiedene Arten verweigert würde. Da die meisten Kapitalist_innen Unionist_innen waren, bekamen Katholik_innen entweder keine oder aber die am schlechtesten bezahlten Jobs (wiederum in Derry wurden 79% der Löhne in der Stadtverwaltung an die etwa 60% Protestant_innen ausgezahlt). Am augenscheinlichsten jedoch war die Diskriminierung bei der Vergabe von Wohnhäusern – Protestant_innen wurden auf Wartelisten immer wieder nach vorne gereiht, wobei Einzelpersonen dieselben Häuser wie katholische 12-köpfige Familien zugewiesen bekamen. In der Region von Dungannon (County Tyrone) wurden zwischen 1945 und 1968 nur 28,9% des Wohnraumes an Katholik_innen vergeben. 1968 standen damit 2000 katholische Familien ohne Wohnung da. Doch die Einsparungen der konservativen Tory-Regierung trafen Protestant_innen und Katholik_innen gleichermaßen – und nur gemeinsam konnte ihr Widerstand erfolgreich sein.

Das wusste auch der republikanische Widerstand und versuchte immer wieder den gemeinsamen Kampf von Protestant_innen, Katholik_innen und anderen gegen Großbritannien zu forcieren (wenn seine kleinbürgerliche Führung die Spaltung nicht gerade für seine eigenen Zwecke nutzte). Dies wurde vor allem nach den Aufständen ab 1969 (den „Troubles“) wichtig, als sich eine Bewegung für soziale Rechte organisierte, die gegen die diskriminierende Wohnungspolitik, Polizeigewalt und neoliberale Ausbeutung kämpfte. Hier konnten, wie auch in der IRA, protestantische und katholische Arbeiter_innen Schulter an Schulter kämpfen. Dieser gemeinsame Widerstand wurde damals jedoch durch Militär und zunehmende Privilegien für Unionist_innen ebenso wie durch einzelne Zugeständnisse an einen Sozialstaat durch die Labour-Regierung in Westminster (London) gebrochen („Labour“ ist die britische Sozialdemokratie, eine der politisch rechtesten in Europa).

 

Für die Einheit im Widerstand!

Wir treten für die Unabhängigkeit Irlands und ein „socialist 32-county Ireland“ ein, wie schon der frühe Sozialist James Connolly, der als Kämpfer im Osteraufstand 1916 immer noch ein Held in Irland ist. Denn so wichtig für ihn der nationale Unabhängigkeitskampf auch war so betonte er als Internationalist: „Jeder britische Arbeiter steht uns näher als ein irischer Kapitalist“. Die Besatzung Nordirlands hilft nur den Ausbeuter_innen, egal welcher Religion sie angehören. Der gemeinsame Widerstand, auf sozialer und politischer Ebene aber nützt den Unterdrückten und vor allem der Arbeiter_innenklasse.

Ist es ein Zufall, dass gerade jetzt die Ausschreitungen wieder aufflammen? Nein, natürlich nicht: Nach der Krise stehen die irische und die britische Wirtschaft sehr schlecht da, massive Kürzungen und Sparpakete werden durchgepeitscht, um die Kosten auf die Arbeiter_innenklasse und die Jugendlichen, Frauen, Kranken etc. abzuwälzen. Die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme machen es für die Kapitalist_innen notwendig, den Arbeiter_innen einen anderen Feind zu geben – in diesem Fall die katholische Minderheit.

Darum sagen wir: Es ist notwendig, dass die Unterdrückten die Missstände gemeinsam aus dem Weg schaffen – Schluss mit der Benachteiligung bei Jobs, Wohnungen und politischem Engagement! Die republikanischen Gebiete müssen sich der imperialistischen Besatzzung und der Regierung in Stormont widersetzen und durch Stadtteilkomitees und Räte ihre Rechte verteidigen! Vor allem aber ist die Besatzung nicht zu tolerieren – Das britische Militär raus aus Irland!

Doch es ist ganz natürlich, dass die privilegierteren Protestant_innen diesem Kampf, so lange ihr Bewusstsein noch nicht durch die Schule des antikapitalistischen Kampfes gegangen ist, weniger offen gegenüber stehen als die katholische Minderheit. Darum ist es notwendig, die Segregation aufzuheben, aber auch katholische Siedlungen wie Short Strands gegen jeden Angriff zu verteidigen! Daher treten wir für die Organisation von Selbstverteidigungskomitees wie in den 1960er- und 70er-Jahren ein, die unionistische Terrorvereinigungen wie die „B Specials“ (eine für Brutalität und Waffengewalt berüchtigte Polizeieinheit) oder die UVF zurück- und zerschlagen.