Norwegen: Unfassbare Tragödie mit rechtsextremem Hintergrund

Über 90 Opfer, davon mindestens 85 jugendliche Teilnehmer_innen des Sommercamps der „Arbeiterjugend“ haben zwei Anschläge am 22. Juli gefordert. Eine Autobombe aus Kunstdünger und Diesel explodierte im Regierungsviertel von Oslo und tötete 7 Menschen – und das auch nur aufgrund des Zeitpunkts nach Feierabend, wo die Straßen quasi ausgestorben waren. Wenige Stunden später betrat mindestens ein Schütze die Insel Utøya und ermordete mit zwei Waffen mindestens 85 Jugendliche. Diese unglaubliche Tragödie gewinnt noch an Relevanz da der mutmaßliche Täter, Anders Breivik ein bekennender Rechtsextremer ist, der seinen Anschlag als PR-Aktion für sein „Manifest“ sieht.

 

Anders Breivik, der sich bewaffnet mit einer Glock-Handfeuerwaffe und einem automatischen Gewehr widerstandslos auf Utøya festnehmen und mittlerweile ein volles Geständnis abgelegt hat ist ein bekennend rechtsextremer Biobauer aus Norwegen. In einem Manifest mit dem Namen „2083. A European Declaration of Indepence“ und einem Youtube-Video („Knights Templar 2083“) legt er wirre Thesen zur Machtübernahme durch Marxist_innen, „suizidale Humanist_innen“, Muslime und Muslimas dar und präsentiert sich als Kämpfer für den Nationalismus und gegen den Islam. Sein Anwalt sagte jetzt, sein Mandant sehe die Anschläge als „schrecklich, aber notwendig“ an. In seinem Manifest schreibt er zudem, die Anschläge seien weniger gegen die Regierung und die Arbeiterjugend (die norwegische Sozialistische Jugend) gerichtet als notwendig, um Aufmerksamkeit auf sein Manifest zu richten. Auch gibt er an, mit der faschistischen englischen EDL Gespräche über den Aufbau einer solchen Organisation in Norwegen geführt zu haben.

Das Land indem diese grausame PR-Aktion stattgefunden hat ist eines der reichsten der Welt. Norwegen ist der 13.-größte Erdölförderer und wurde mehrmals (zuletzt 2009) auf dem HDI-Index als das Land mit der höchsten Lebensqualität bezeichnet. Die Regierung besteht gegenwärtig aus der sozialdemokratischen „Arbeiterpartei“, der linksreformistischen „Sozialistischen Linkspartei“ und der „grünen Zentrumspartei“. Sie scheint den unverhältnismäßig großen Reichtum des Landes zumindest zum Teil für einen umfassenden Sozialstaat auszugeben. Durch dieses „Ruhighalten“ ist das Klassenkampfniveau in Norwegen sehr niedrig, zum Beispiel sind nur 1,3 Millionen der 4,97 Millionen Einwohner_innen gewerkschaftlich organisiert.

Gleichzeitig pflegt Norwegen eine unglaublich harte Einwanderungspolitik. Seit 1988 ist es quasi unmöglich, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu erlangen, auch die Arbeitserlaubnis wird nur sehr selten vergeben, Ausnahmen gelten für die Länder der EU (der Norwegen nicht angehört). Dies macht die norwegische Regierung aus wirtschaftlichen Gründen doch wird mit dieser Politik des alltäglichen Rassismus an den Grenzen natürlich bürgerlich-rassistischen Ideen Vorschub geleistet. Die Neonaziszene ist zwar klein, aber entschlossen und begann in den vergangenen Jahren einige Anschläge auf Migrant_innen und Gewerkschafter_innen, vor allem aber in Schweden. Doch hat der Rassismus durchaus auch eine breitere Basis – die rechtspopulistisch-neoliberale „Fortschrittpartei“ brachte es bei den Wahlen 2005 auf 22,1%.

Im Umfeld der Fortschrittspartei und ihres Jugendverbandes bewegte sich auch Breivik. Er schreibt, er habe diese Organisationen vor 9 Jahren verlassen, um sich auf die Anschläge vorzubereiten. Doch außer im Internet hielt er sich politisch immer eher bedeckt, sein Hintergrund entspricht weniger dem einer rechtsextremistischen Terrororganisation. Eher deutet alles daraufhin, dass es sich um einen Einzeltäter oder eine kleine Gruppe handelt, die die Anschläge durchgeführt hat, ebenso wie anzunehmen ist, dass Breivik psychisch gestört ist. Seine Ideologie basiert auf Fremdenhass und Islamophobie ebenso wie auf einem paranoiden Blick auf die Welt.

Was können wir aus dieser fürchterlichen Tragödie lernen? Können wir etwas daraus lernen? Ganz offensichtlich ist der bürgerliche Staat nicht in der Lage, rechtsextremen Terror zu unterbinden. Er ist auch nicht in der Lage, fremdenfeindlich Umtrieben wie der Fortschrittspartei und ihrem Jugendverband etwas entgegenzusetzen – weil dieser Staat noch weniger Antworten hat als die Rechten zu haben vorgeben. Einzelne Anschläge zu verhindern ist immer schwierig und so etwas kann mit einem Aufschwung der Rechten immer öfter passieren. Aber es ist unsere Aufgabe, weiter zu kämpfen, den Rechten jeden Boden wegzuziehen und zu verhindern, dass die grausame PR-Aktion Erfolg hat. Das sind wir den Opfern, besonders den 85 Arbeiterjugend-Mitgliedern, ebenso schuldig wie unserer Bewegung.

Die Toten bleiben unvergessen. Der Kampf geht weiter.