Phänomen Femizid – von den Ursachen der Frauenmorde über den Bedarf einer antisexistischen und antirassistischen Gegenbewegung

Eine am 8. Jänner von ihrem Ehemann erstochene vierfache Mutter, tags darauf der Mord einer 50-Jährigen durch ihren Ex-Mann – die sich in den letzten Jahren in Österreich häufenden Frauenmorde, sogenannte Femizide, gehen auch im neuen Jahr weiter. Ausschließlich Frauen wurden im Jänner getötet, Anfang Februar kam dann das erste männliche Opfer hinzu. Bei der aktuellen intensiven Diskussion über Gewalt an Frauen schwingen jedoch immer auch andere gesellschaftspolitische Themen mit – das Problem ist nämlich nicht als bloße Anhäufung von Einzelfällen zu verstehen, sondern in einen breiteren Kontext einzuordnen.

Zunächst sei geklärt, warum es sich bei den Mordopfern vermehrt um Frauen – und nicht etwa um Männer – handelt. Dass bei 70 Morden im Jahr 2018 41 weibliche und 29 männliche Opfer zu betrauern waren, ist kein Zufall. Die Sache übersteigt in ihrer Komplexität die Möglichkeit eines zweiseitigen Artikels, vereinfachend kann man jedoch Folgendes festhalten: Ab dem frühesten Kindesalter lässt sich beobachten, dass kleine Jungen eher zu “Nehmern”, kleine Mädchen wiederum eher zu “Geberinnen” herangezogen werden. Der kleine Junge richtet sein kommendes Leben also hauptsächlich nach seinen eigenen Bedürfnissen aus, während sich das kleine Mädchen möglichst um die Wünsche anderer kümmern soll. Dieses (natürlich wieder stark vereinfachte, nichtsdestotrotz aber bestehende) Verhältnis von “Geben” und “Nehmen” spiegelt sich auch im Erwachsenenalter in den verschiedensten Lebensbereichen wieder: Sowohl auf dem Arbeitsmarkt, wo sich Frauen überdurchschnittlich an Berufen im Sozialsektor betätigen, als auch auch zuhause, wo Frauen immer noch einen Großteil der Hausarbeit und Kindeserziehung übernehmen. Und wächst man mit bestimmten Rollenbildern auf, so reproduziert man diese auch. Verständlicher ausgedrückt: Bekommt man in seinen Entwicklungsjahren einerseits im Elternhaus, andererseits in der Öffentlichkeit eine bestimmte Rolle vorgelebt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass  man diese mit der Zeit selbst annimmt und wiederum anderen vorlebt.

Sieht sich der “nehmende” Mann also im Recht, ständige Zuneigung und Umsorgung seitens einer Frau zu bekommen, reagiert er möglicherweise mit Gewalt (auch diese ist gesellschaftlich „männlich“ geprägt), wenn er nicht genau das erhält, was er sich erwartet. Und obwohl Männer laut Statistik Austria ungefähr viermal häufiger Suizid als Frauen begehen, richten sie ihr aggressives Verhalten vor allem auch nach außen. Strafbare Handlungen “gegen Leib und Leben” begehen Männer ungefähr zehnmal, jene “gegen sexuelle Integrität und Selbstbestimmung” sogar sechzigmal häufiger als Frauen. Wenig überraschend ist, dass die Leidtragenden der gesellschaftlichen Machtdynamik zwischen Mann und Frau also vorrangig weiblich sind.

Die wirtschaftliche Krise und der damit verbundene Lohn- und Sozialabbau verstärkt zudem diese Dynamik, da Männer oftmals ihren Frust und ihre Unsicherheiten, sozial und wirtschaftlich abzusteigen und damit auch an Macht im Haushalt zu verlieren, an Frauen ausleben. Die Tatsache, dass viele Frauen auch noch in ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen zu Männern stehen und gesellschaftlich in vielerlei Hinsicht (Lohn, Jobchancen etc.) weiterhin benachteiligt sind, macht die Situation auch nicht einfacher.

Obgleich man vermuten möge, es sei vor allem Feminist*innen und Antisexist*innen ein Anliegen, die gehäuften Frauenmorde zu thematisieren, sind auch reaktionäre Gruppierungen und Parteien ziemlich auffällig an der Diskussion interessiert. Äußert sich aber etwa die FPÖ über das Thema, stehen weniger die Frauen selbst und mehr der vermeintliche Tätertypus im Vordergrund – laut FPÖ Asylwerber bzw. Flüchtling. So sprach Vizekanzler Strache von “importierter Gewalt” und Innenminister Kickl drängt seit Mitte Jänner auf strengere Regeln bei Asylwerber*innen und stellte Ende des Monats im Zuge dessen sogar die EU-Menschenrechtskonvention in Frage.

Wie sehr stimmt also das Bild vom “Flüchtling im dunklen Eck, der die österreichische Frau angreift”, das die FPÖ so gerne skizziert?

Vorweg: So, wie die FPÖ die Situation erscheinen lässt, ist sie natürlich nicht – das Thema mit einer bloßen Widerlegung der rassistischen FPÖ-Logik jedoch auch noch lange nicht beendet! Laut Kriminalitätsberichten des Bundeskriminalamts aus den vergangenen Jahren herrscht zwischen Täter und Opfer bei Mord hauptsächlich entweder eine “familiäre Beziehung in Hausgemeinschaft” oder ein “Bekanntschaftsverhältnis” vor – der Täter kommt also fast immer aus dem unmittelbaren Umfeld des Opfers. In der Regel kann auch bei Morden von Verbrechen innerhalb der eigenen Community ausgegangen werden. Ein Bild, dass natürlich gar nicht in das vor allem von Rechten und Konservativen hochgehaltene Ideal der heilen bürgerlichen Familie passt. Die Wahrscheinlichkeit, dass nun beispielsweise ein afghanischer Flüchtling eine ihm unbekannte österreichische Frau nachts auf der Straße mit einem Messer überrascht, ist also äußerst gering und vielmehr ein propagiertes Bild um rassistische und menschenverachtende Politik zu legitimieren.

Andererseits sind bei diversen Statistiken, so auch bei der Auflistung der “Täter und Täterinnen nach Nationalität” des Bundeskriminalamts 2018, “fremde Tatverdächtige” überrepräsentiert. Nun kann es sich bei diesen “fremden Tatverdächtigen” auch um Deutsche handeln, genauso werden “Ausländer” grundsätzlich schneller verdächtigt. Eine mediale Berichterstattung, die systematisch „fremde“ Nationalitäten in den Vordergrund stellt und teils gar die Verbrechen mit ihrem Migrationshintergrund zu erklären versucht, lässt natürlich schnell den verfälschten Eindruck entstehen, dass Migranten aus gewissen Ländern besonders aggressiv wären.

Dass in vielen Ländern althergebrachte, repressive und menschenverachtende Frauenbilder jedoch offener gelebt werden als in Österreich, darf man ebenfalls nicht außen vor lassen!

Besonders, weil man weiß, dass Morde hauptsächlich im eigenen Milieu verübt werden und somit auch besonders Migrantinnen von Gewalt betroffen sind, sich aber oftmals aus verschiedenen Gründen nicht gegen diese wehren können. Häufig spielen finanzielle Sorgen und die Angst, aus der eigenen Community ausgeschlossen zu werden, wenn man sich trennt oder gar scheiden lässt, eine Rolle; genauso weiß man, dass die Gefahr für Leib und Leben in Trennungs- und Scheidungsphasen oft wächst. Im schlimmsten Falle beherrscht man die Sprache nicht ausreichend und ist sich über die Hilfsmöglichkeiten gar nicht im Klaren.

Frauen und damit auch Migranntinnen den sicheren Ausbruch aus gewalttätigen Umfeldern zu erleichtern, sowie Maßnahmen, die sich dezidiert um Migranntinnen kümmern, zu unterstützen, das wäre ein wichtiger Schritt innerhalb der Debatte.

Nun bleiben zugezogene Frauen nicht nur im Rahmen der Diskussion auf der Strecke, Mitte 2018 kürzt das Frauenministerium auch noch diversen Frauenorganisationen stark das Budget. So gibt es in Österreich um die 400 Familienberatungsstellen, deren Förderung 1 Million €  weniger als in den Jahren zuvor beträgt. Jene Geldsummen, die bisher Vereinen und Netzwerken wie dem AOF (Verein autonomer Frauenhäuser), dem Österreichischen Frauenring, dem Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern, der ARGE Frauengesundheitszentren etc. zukamen, sind 2018 gerade im Bezug auf Kampagnen, die Gewalt an Frauen und Mädchen thematisieren, teilweise gänzlich gestrichen worden.

Äußerungen über das vermeintliche Anliegen der Regierung, Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen, erhalten so einen bitteren Beigeschmack.

Was kann also konkret gegen die Femizide unternommen werden? Statt Abschiebungs- und Aberkennungsgesetze im Asylrechtsbereich zu verschärfen, bedarf es eines ganzheitlicheren Zuganges. Wichtig ist dabei eine von Fakten gestützte und ehrliche Diskussion über das Thema zu führen ohne dabei in ein rassistisches Eck abzudriften. Förderung von Präventionsmaßnahmen wie das Erstellen genauerer Statistiken, frühzeitig angesetzter Therapie mit zu aggressivem Verhalten neigenden Männern und die Errichtung eines finanziell stabilen Netzwerkes an Frauenhäusern und Frauenverbänden wären ein sinnvollerer und effektiverer Weg, Frauen und Mädchen ein Leben ohne männliche Gewalt zu ermöglichen. Genauso ist es wichtig mit höheren Löhnen, deutlich besseren Arbeitsbedingungen und einer stärkeren Vergesellschaftung von privater Hausarbeit, die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu verbessern, um von Anfang an zu verhindern, dass Frauen in ökonomische Abhängigkeiten geraten.

Zuletzt muss erkannt werden, dass es sich bei Frauenunterdrückung um ein strukturelles Problem handelt und Femizide nur eines (wenn auch ein katastrophales!) von vielen Symptomen einer sexistischen Gesellschaft darstellen. Gewalt an Frauen ist ein höchstkomplexes Phänomen, das nicht ausschließlich mit präventiven Unternehmungen aus der Welt geschaffen werden kann, sondern immer auch mit gesellschaftspolitischen Tatsachen zu tun hat, die es letztendlich zu überwinden gilt.


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