Konsumkritik ohne Systemkritik?

Mittlerweile liest man es überall. Unser Planet ist existentiell bedroht. Die globale Erderwärmung ist für das Steigen des Meeresspiegels viele Naturkatastrophen und auch teilweise das Artensterben verantwortlich. Weitere Themen mit denen wir 2019 konfrontiert sind, beinhalten die extreme Wasser- und Luftverschmutzung und die enorme Abholzung im Regenwald. All das sind nur ein paar Beispiele von vielen. Diese schockierenden Nachrichten sind aber keine Phänomene, die von heute auf morgen stattgefunden haben. Sie werden durch die massenhafte Klimabewegung in die Öffentlichkeit gedrängt. 

Die Geschichte der modernen Umweltbewegung hat 1970 ihren Anfang, bei der die erste europaweite Umweltkampagne mit 200.000 Aktionen stattfand. Der Begriff “Nachhaltigkeit” tauchte dann im Jahr 1987 auf und gewann durch den berühmten Bericht “Our Common Future” an großer Bedeutung. Er wurde von der norwegischen Politikerin Harlem Brundtland geschrieben und von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen veröffentlicht. Fünf Jahre später wurde auf der UN-Konferenz in Rio de Janeiro, dem sogenannten Earth Summit, die Umweltfrage als globales Problem benannt und die “nachhaltige Entwicklung” zum politischen und ökonomischen Ziel erklärt. Mit Fridays for Future gibt es heute eine große Jugendbewegung durch die sich viele junge Menschen das erste Mal auf die Straßen bewegen um zu protestieren. Aber auch andere Trends wie Veganismus und Zero Waste haben ihren Anklang in der Gesellschaft gefunden. Der individuelle Zugang zu diesem Thema ist weit verbreitet und viele haben den Anspruch ihr Leben nachhaltiger zu gestalten.

In der Umweltdebatte, die wir momentan führen, geht es meistens darum was wir im Kapitalismus machen können um die Katastrophe zu verhindern. Green Economy und Green Growth sind die zwei Schlagwörter, wenn es darum geht innerhalb des jetzigen Wirtschaftssystems die Probleme zu reduzieren bzw. zu überwinden. Um zu der Lösung beizutragen, setzt die bürgerliche Politik stark auf Green Technology. Gerade der Fokus auf Technologie und das Ausbleiben der sozialen Frage zeigen uns aber um welche Interessen es hier wirklich geht. Dass die Umwelt an steigender Wichtigkeit in der öffentlichen Diskussion gewinnt, liegt nicht an dem höheren Umweltbewusstsein von Politiker*innen, sondern eher daran, dass auch die Möglichkeit weiter Profite zu machen  gefährdet werden könnte, da Ressourcen endlich sind und das Wirtschaftswachstum seine Grenzen hat.

Um es einfach zu sagen: Die herrschende Klasse ist bemüht, einen sogenannt “grünen Kapitalismus” einzuführen. Wind, Sonne, Biomasse und Wasser sollen Öl und Kohle ersetzen. Damit soll der Treibhausgas-Ausstoß gesenkt werden, die “Versorgungssicherheit” beibehalten werden und die Wirtschaft weiter voran wachsen. Wir schreiben das Wort “Versorgungssicherheit” bewusst unter Anführungszeichen, da  es dabei in erster Linie um eine Versorgungssicherheit für global agierende Konzerne und die Aufrechterhaltung globaler Produktionsketten geht. Wir befinden uns nicht annähernd in der Situation, in der die Grundbedürfnisse aller Menschen dieser Welt gedeckt sind.

Kapitalist*innen versuchen die Illusion zu verbreiten, dass durch erneuerbare Energien eine umweltfreundliche Produktion im jetzigen System möglich ist. Die erneuerbaren Energien sind aber in der Realität oft nicht so grün wie Unternehmer*innen immer behaupten und viele neue Energieprojekte gehen auch mit großen sozial-schädlichen Folgen einher. Beispielsweise führt der extreme Anbau von Biomasse für die Produktion von Treibstoffen dazu, dass Ackerland in Besitz großer Unternehmen kommt und infolgedessen die Landbevölkerung vertrieben wird. Dies können wir ganz stark in Brasilien beobachten. Auch Wasserkraft durch Staudämme sind oft äußerst problematisch. 2015 wurde die weltweite Stromerzeugung zu 16% aus Wasserkraft gewonnen und machte damit 70% der erzeugten erneuerbaren Energien aus. Die sozioökonomischen Auswirkungen waren jedoch bei weitem nicht nur positiv und führten dazu, dass bis 2000 der Trend immer mehr abgeklungen ist. Durch die laute Debatte über Treibhausgase konnte die Methode aber erneut aufsteigen, da die Unternehmer*innen damit werben, und es sogar in der UN anerkannt ist, dass es sich hier um eine treibhausgasarme Technologie handelt. Das ist aber nicht so einfach. Stauseen stoßen durch unter Wasser verrottete Pflanzen große Mengen an Methan aus. Zusätzlich werden in vielen Fällen für den Bau eines solchen, Tausende, manchmal sogar deutlich mehr Menschen vertrieben, Fischpopulationen und die Ökologie intakter Flusssysteme zerstört und dazu etliche Arbeitsrechte verletzt. Das Narmada-Staudammprojekt in Zentralindien ist genau so ein Fall. Weil der Ort und die Umgebung bei der Erstellung geflutet wurde, mussten 320 000 Menschen ihr Zuhause verlassen und von vielen weiteren ist die Lebensgrundlage sehr gefährdet. Auch in der Türkei wird momentan an einem gigantischen Staudammprojekt gearbeitet. Der Bau bedient sich vor allem der kurdischen Landfläche. Insgesamt sollen an Euphrat und Tigris plus der Nebenflüsse, 22 Staudämme und 19 Wasserkraftwerke fertiggestellt werden. Dort hat das Ganze zusätzlich auch noch geopolitische Motive, da der Euphrat und Tigris ebenfalls durch Syrien und den Irak fließen. Die Nutzung wird für die Länder durch das Südostanatolien-Projekt stark beschränkt. Der Stausee Atatürk, der größte von den 22, hat den Euphrat zeitweise fast trockengelegt. Die Türkei hat sich somit auch ein Druckmittel geschaffen und ist nun in der Lage, Syrien und den Irak politisch zu erpressen. Aber auch wichtige historische und archäologische Stätten wie z. B. die antike Metropole Samosata wurden durch den Staudamm dauerhaft überflutet. Die Problematik macht sich anhand dieser Beispiele deutlich sichtbar. Die Branche von erneuerbaren Energien unterscheidet sich wenig von der Branche anderer Technologien. Sie ist auf Profit aus und nimmt die Ausbeutung von Natur und Mensch in Kauf.

Das Programm CDM – Clean Development Mechanism – ist ein von der UN vorgegebener Mechanismus um Treibhausgase zu reduzieren und Entwicklungsländer bei einer nachhaltigen Entwicklung zu unterstützen. Der Trick an der Sache ist aber, dass Unternehmen neue Energieprojekte in den sogenannten Entwicklungsländern als “Entwicklungshilfe” anpreisen und somit die Ausbeutung neuer Flächen und Arbeitskräfte rechtfertigen können. Noch so ein Spaß ist REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation), ein Programm um die Entwaldung zu reduzieren. Das führt meist dazu, dass traditionelle Gemeinschaften die Kontrolle über ihr Territorium verlieren und Land privatisiert wird. Die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, weil es im legalen Rahmen möglich ist, ein Stück Erde aufzukaufen und für sich zu beanspruchen.

In diesem Kontext stellt sich die Frage warum wir uns als Bewohner*innen des Westens eher unverantwortlich für all das fühlen. Es gibt hierfür einen bestimmten Begriff der sich “Umweltparadoxon” nennt. Oftmals ist in den Ländern bei denen der Ressourcenverbrauch besonders hoch ist die Umweltzerstörung deutlich niedriger als in denen wo der Ressourcenverbrauch gering ist. Das liegt daran, dass reiche Länder es sich leisten können, ihre Produktion in Regionen ärmerer Gesellschaften auszulagern und gleichzeitig mehr Ressourcen haben um die Auswirkungen von Umweltzerstörung und Klimawandel zu schwächen. Das beinhaltet die Auslagerung von umweltschädlicher Rohstoffförderung, Industrieproduktion und landvernutzender Agrarwirtschaft. Daher können die negativen Umweltauswirkungen nicht anhand interner Kerndaten eines Landes beurteilt werden. Es müssen immer auch Material und Energieflüsse an Ressourcen und Abfallprodukte mit anderen Ländern einkalkuliert werden. Diese Auslagerung in ärmere Länder ist auch deshalb so beliebt, weil sie nachlässigere Umweltauflagen haben, eine steigende Profitrate durch die Billiglöhne ermöglichen und somit zu mehr Profit kommen.

Ein weiteres wichtiges Thema ist der Emissionshandel. Zwei Drittel aller Emissionen werden von gerade mal 90 Unternehmen verursacht. Die Menge des CO2 Ausstoß soll durch Zertifikate verringert werden, die am Markt zu freien Preisen gehandelt werden. Dadurch, dass Unternehmen Investitionen in Schwellenländern (Entwicklungshilfe) anrechnen können als Emissionsverminderung – der Ausstoß findet ja nicht im eigenen Land statt – sind die Zertifikate, auch durch andere Faktoren, wie der Wirtschaftskrise, sehr billig geworden. Sie sind daher leicht zu erwerben – sie verlieren also ihren Nutzen. Da der Preis beim Emissionsrechtehandel Angebot und Nachfrage unterliegt, setzen Politiker*innen nun auf die CO2-Steuer. So werden die Kosten für die Umweltverschmutzung von den Unternehmen an die Konsument*innen weitergegeben. Das belastet vor allem geringere Einkommen stärker.

Es gibt noch andere Ideen um sich innerhalb des Kapitalismus für die Natur einzusetzen. Beispielsweise der Öffentlichkeit das Recht zu geben, rechtlich gegen Unternehmen vorzugehen, die gegen Vorschriften verstoßen. Die Frage stellt sich jedoch wer die “Öffentlichkeit” im Endeffekt ist und wie diese rechtlichen Schritte in der Praxis umgesetzt werden. Abgesehen davon, dass die Idee noch sehr abstrakt formuliert ist, stehen wir vor der Tatsache, dass die Umweltzerstörung nicht finanziell aufzuwiegen ist.

Wir sehen, dass die Lösungsansätze für einen grünen Kapitalismus nicht fruchten und niemals zu einer allgemein umweltfreundlichen Produktion sorgen können. Als Konsument*innen haben wir auch zu keiner Zeit den vollen Einblick in die Produktionsverhältnisse, da Kapitalist*innen viel dafür tun, um diese von uns fern zu halten.

Konzerne und Staat arbeiten zusammen, um die Menschen zu täuschen und den Anschein zu wecken, dass etwas gegen die Klimakrise getan wird. Beispielsweise werden Zertifikate entwickelt von denen keiner weiß, was die eigentlich bedeuten. Bio- und Fairtrade dienen oft nur zum sogenannten “Green Washing”. Nicht selten werden Produkte mit Gütesiegeln beklebt, die es überhaupt nicht gibt bzw. nie offiziell zertifiziert wurden. Trotzdem lassen sie sich teurer verkaufen, da die meisten sich nicht die Zeit nehmen beim Einkaufen jedes Siegel nachzurechechieren. Für Leute, die sich diese Produkte leisten können, ist das Gewissen schnell mal beruhig. Kaufe ich den Bio-Kaffee, so kann ich meinen Espresso am Morgen trinken und gleichzeitig scheinbar zu besseren Arbeitslöhnen in Peru beitragen.

Nachhaltigkeit ist “In” geworden und geht mit den verschiedensten Trends einher. Minimalismus, Zero Waste, Veganismus und viel Weiteres sollen die Umweltzerstörung aufhalten. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass die Klimarettung keine “individuelle Sache” ist, sondern eine Klassenfrage. Menschen mit Geld, können es sich aussuchen in welcher Klimazone sie leben – Arbeiter*innen jedoch nicht. Es braucht eine radikale Veränderung in Produktion und Verteilung. Die Produktion muss unter Arbeiter*innenkontrolle gebracht werden und sich nach den Mensch und Umwelt zu richten, nicht nach dem Profit. Denn solange die Produktionsmittel im Besitz der Kapitalist*innen sind, wird auch in deren Interesse produziert. Ein bewusster Konsum ist natürlich nicht schlecht und manchmal sogar förderlich für die Bewusstseinsentwicklung – gerade wenn es darum geht, Verantwortung für seine Handlungen zu tragen, im Kampf gegen die Ausbeutung von Natur und Mensch. Aber der Kampf darf beim bewussten Kauf und Verzehr von Produkten nicht aufhören. Der Individualismus kann für das kollektive Bewusstsein extrem schädigend sein und viele Menschen daran hindern sich zu organisieren. Wir bekommen von 100 Ecken zu hören, dass wir ganz allein für unser Leben zuständig sind und es wird so getan als hätten die ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen kaum bis keinen Einfluss auf unsere Lebensführung. Diese “Ich-bezogene Weltanschauung” funktioniert vielleicht für die Privilegierten, doch es ist die globale Arbeiter*innenklasse die am meisten darunter leidet und der kollektive Widerstand, der damit deutlich geschwächt wird.

Öko-Influencer*innen bewerben teure Fairtrade-Kleidung und Expert*innen schieben die Schuld auf Fleisch-Konsument*innen die sich nicht dem Bio-Regal bedienen. Dass die Entscheidungsfreiheit für den Großteil der Menschheit durch große Kosten von “nachhaltigen” Produkten begrenzt ist, spielt für solche Personen keine Rolle. Statt tatsächlichen Widerstand aufzubauen, inszeniert man sich lieber selber. Und gerade die Grünen werben genau mit solchen Menschen für sich und zeigen damit abermals ihren kleinbürgerlichen Geist.

Wenn wir also davon sprechen, dass Fliegen enorm schlecht für das Klima ist, dann lasst uns noch hinzufügen, welche Unternehmen noch das zigfache zu der Umweltzerstörung beitragen. Beispielsweise stößt das Kraftwerk Neurath, das größte in Deutschland und zweitgrößte Braunkohlekraftwerk Europas, so viel CO2-Äquivalente aus, wie der gesamte innerdeutsche Flugverkehr in 12 Jahren. Die Energieproduktion gehört somit stark reguliert und von der Arbeiter*innenklasse kontrolliert. Weiter muss vom Individualverkehr auf effektiv öffentliche Verkehrssysteme umgestiegen werden und für jeden und jede leistbar sein. Auch die Wissenschaft darf nicht mehr als Privateigentum gehandhabt werden. Wir brauchen eine von Kapitalinteressen unabhängige  Forschung um grüne Alternativen für die Produktionsentwicklung zu finden. Momentan kommt das Forschungsgeld von großen Unternehmen um die Wissenschaft für sich zu nutzen und Profit zu erlangen. Die Wissenschaft sollte im Interesse der Menschen und nicht der Wirtschaft betrieben werden und vor allem für alle zugänglich sein.

Wir sehen, dass die größten Umweltprobleme, nicht von einem alternativen Lifestyle zu beheben sind. Durch laute Debatten über Plastikstrohhalme, lenkt die Politik von dem wahren Übel ab: Der kapitalistischen Produktion. Uns fehlt die Zeit Politiker*innen beim Diskutieren zuzuschauen um dann zu lesen, dass die Beschlüsse erst recht nicht eingehalten werden. Wir müssen jetzt anfangen individuelle Handlungen mit kollektivem Widerstand zu verbinden. Lasst uns also gemeinsam gegen die Umweltkatastrophe kämpfen und auf die Straßen gehen. Das ist unsere Erde und die letzte Chance die wir haben!


Siehe auch