Moria – Schande Europas

Seit der sogenannten „Flüchtlingkrise“ 2015 hat die EU „Hotspots“ nahe den EU-Außengrenzen eingeführt. Von diesen existieren in Griechenland momentan 6, in Italien 4 und sie werden von der EU mitfinanziert. Sie dienen der Registrierung von Geflüchteten und Bearbeitung ihrer Anträge auf Asyl, de facto sind sie aber Gefängnisse, in denen diese Menschen festsitzen bis sie abgeschoben werden, oder ihrem Antrag stattgegeben wird, was allerdings sehr lange dauert. Das führt dazu, dass Geflüchtete Monate bis Jahre in diesen Lagern festgehalten werden. Die Lebenssituation der Menschen dort ist menschenunwürdig: Kein oder mangelhafter Rechtsbeistand, chronische Überfüllung, kein Schutz der besonders Schutzbedürftigen, keine winterfesten Zelte, viel zu wenige Wasserhähne und sanitäre Einrichtungen, wiederkehrende Angriffe von lokalen Rechten und organisierten Faschist*innen auf Geflüchtete, NGOs und Journalist*innen und immer wieder Brände, die durch die zu enge Bauweise und die Überfüllung der Lager begünstigt werden und bei denen es auch Todesopfer gab. Diese Missstände sind schon jahrelang bekannt und dokumentiert, geändert hat sich nichts. Moria, das sich auf der griechischen Insel Lesbos befindet, ist wohl das berüchtigtste dieser Lager und war in den letzten Jahren immer wieder wegen der unmenschlichen Lebensbedingungen in den Medien, bis die Lage dort Anfang September 2020 endgültig eskalierte.

Seitdem das SARS-CoV-2 Virus Europa erreicht hatte, warnen Hilfsorganisationen und NGOs, dass ein Ausbruch in den Flüchtlingslagern der EU-Außengrenzen fatale Folgen hätte. Denn der Mangel an Sanitäranlagen, medizinischer Versorgung und die Unmöglichkeit von social-distancing würde eine Eindämmung des Virus dort unmöglich machen. Es wurde immer wieder die Evakuierung dieser Lager und eine dezentrale Unterbringung der Bewohner*innen gefordert, allerdings wenig überraschend ohne Erfolg. Anfang September 2020 – also nachdem die griechischen Behörden und die EU monatelang alle Warnungen tatenlos ignoriert hatten – wurde der erste Covid-19-Fall in Moria registriert. Ärzte ohne Grenzen hatte eigentlich ein Isolationszentrum für Covid-19-Verdachtsfälle neben dem Lager eingerichtet, das aber wieder geschlossen werden musste, da es angeblich gegen die Stadtplanungsverordnung verstoßen hatte. Anstatt schnell Verdachtsfälle zu isolieren, ließen die griechischen Behörden das Lager abriegeln und sperrten damit die knapp 13.000 Geflüchteten von Moria quasi ohne Hilfe mit dem Virus ein. Das hätte bald dazu geführt, dass sich fast alle Bewohner*innen des Lagers infiziert hätten. Eine Woche später gab es schon 35 nachgewiesene Infektionen in Moria. In der Folge kam es zu Protesten von Geflüchteten gegen die Abriegelung, für medizinische Versorgung und gegen die inhumanen Lebensbedingungen.

Am 8. September brach ein Brand in Moria aus, bei dem fast das ganze Lager zerstört wurde. Es gibt Berichte über Verletzte, zu der Zeit als dieser Artikel verfasst wurde, waren diese Zahlen allerdings noch nicht erhoben worden. Nach Verhandlungen mit der griechischen Polizei durften die Bewohner*innen das Camp verlassen und flüchteten in die umliegenden Wälder und in Richtung der nächstgelegenen Stadt Mytilini. In den nächsten 9-11 Tagen saßen tausende Geflüchtete auf und um einen Straßenabschnitt fest, der von der Polizei abgeriegelt worden war. Die griechische Regierung ließ ein Übergangslager namens „Kara Tepe“ aufbauen, in dem die Geflüchteten untergebracht werden sollten, bis ein neues, permanentes Lager aufgebaut wird. Viele der Geflüchteten wollten allerdings nicht nach Kara Tepe, da sie befürchteten, dass es wieder wie in Moria sein würde. Um die Geflüchteten in das neue Lager zu zwingen, unternahmen die griechischen Behörden alles, um eine humanitäre Katastrophe auszulösen. An die Geflüchteten aus Moria, von denen viele tagelang nichts gegessen und wenig getrunken hatten, unter denen sich viele Kinder, Schwangere, Menschen mit Behinderung und schwer Traumatisierte befinden, wurde viel zu wenig oder verdorbenes Essen und Trinken verteilt. Ohne Schatten kollabierten Menschen in der erbarmungslosen Hitze, manche waren gezwungen Abwasser zu trinken, auch Kinder. Journalist*innen und Ärzt*innen wurde der Zugang verweigert. Es gab Protestaktionen und Demonstrationen der Geflüchteten, bei denen sie forderten, die Insel verlassen zu dürfen; diese wurden von der Polizei mit Tränengas niedergeschlagen. Nachdem diese absolut widerwärtige Strategie nur einige Hundert nach Kara Tepe gezwungen hatte, setzte die Polizei nach 9 Tagen flächendeckend Tränengas ein um die restlichen Flüchtlinge gewaltsam dorthin zu bringen. Gleichzeitig wurde auch das Verteilen von Nahrungsmitteln an Flüchtlinge außerhalb von Kara Tepe bei Androhung von Strafe verboten.

Aber wie sind die Lebensbedingungen im neuen Lager Kara Tepe, haben die EU und die griechische Regierung aus den Erfahrungen von Moria gelernt? Die Antwort ist leider ein klares Nein. Das neue Lager ist wieder ein sehr eng gebautes Zeltlager, also wieder brandschutztechnisch gefährlich. Es befindet sich auf einem ehemaligen Schießübungsplatz des Militärs, neben Munitionsresten dürften sich dort also noch Blindgänger befinden und das Gelände chemisch belastet sein. Es gibt keine Betten oder zumindest Paletten in den Zelten, also müssen die Menschen auf dem abschüssigen, steinigen Boden schlafen. Das Lager befindet sich auch unmittelbar am Meer, die Geflüchteten werden also im Winter in ihren leichten Sommerzelten dem kalten, feuchten Wind schutzlos ausgeliefert sein, auch können bei Sturm hohe Wellen das Camp erreichen. Zusätzlich wurden bereits Hunderte in Kara Tepe positiv auf Covid-19 getestet und in einem mit Stacheldraht umzäunten Bereich abgesondert. Essen wird nur einmal am Tag und zu wenig ausgegeben. Kara Tepe ist also sogar schlimmer als Moria!

Kurz nach dem Brand und bevor die Untersuchung dazu abgeschlossen war, verkündete die griechische Regierung, dass dieser von Flüchtlingen gelegt worden sei. In der Folge stellte sie sich gegen eine Aufnahme von Geflüchteten durch andere Länder, da sie befürchtete, dass dies ein Pull-Faktor werden würde. Dabei ist Moria als Sinnbild für die unmenschliche Politik der Festung Europa ganz sicher kein Pull-Faktor für Geflüchtete und falls der Brand tatsächlich von Geflüchteten gelegt worden sein sollte, war dies das letzte mögliche Mittel aus dieser Hölle zu entkommen und damit das Resultat der EU-Migrationspolitik. Rechte Politiker*innen und Medien nutzen den Brand um Geflüchtete auf zutiefst rassistische Art und Weise allesamt als kriminell und gefährlich darzustellen. Die Frage nach der Ursache des Brandes verdrängte in der allgemeinen Berichterstattung oftmals auch die tatsächlichen menschenunwürdigen Bedingungen. Das Narrativ, dass man bei den Bewohner*innen von Moria hart bleiben müsse, um weitere Fluchtbewegungen Richtung Europa zu verhindern, reduziert diese hilfsbedürftigen Menschen zu einer strategisch verschiebbaren Masse, entmenschlicht sie also und das macht es leichter, unmenschliches Verhalten gegen sie zu rechtfertigen. Diese Argumentationsweise wurde von vielen Regierungen übernommen, wie z.B. von der österreichischen. Im Angesicht der Lage haben sich 10 europäische Länder dazu bereit erklärt, insgesamt 400 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen, die deutsche Regierung will zusätzlich 1500 bereits anerkannte Geflüchtete von fünf griechischen Inseln aufnehmen, Italien 300. Hier handelt es sich aber klar um Symbolpolitik, mit der interne Kritiker*innen besänftigt und von der eigenen Schuld und dem eigenen Mitwirken beim Bau der Festung Europa abgelenkt werden soll.

In Österreich haben Kurz, Nehammer, Schallenberg & Co die Argumentation des Pull-Faktors übernommen und sind unter Vorschub von „Rationalität“ und „De-Emotionalisierung“ vehement gegen jede Aufnahme von Geflüchteten aus Moria. Dieses Verhalten der ÖVP-Regierungsmitglieder sogar gegen den Widerstand von aufnahmebereiten ÖVP-Bürgermeister*innen ist allerdings wenig überraschend, da sich die Partei schon lange auf einem sehr rechten Kurs befindet. Gerade jetzt vor den Wien-Wahlen will die ÖVP auch aufzeigen, dass sie eine gleichwertige Alternative zur krisengebeutelten FPÖ darstellen. Innerhalb der SPÖ hat sich der Landeshauptmann von Burgenland Doskozil ebenso – entgegen der SPÖ-Linie die 100 Kinder aufnehmen will – gegen die Aufnahme von Geflüchteten ausgesprochen.  Parteiinterne Kritik an seiner Positionierung hielt sich stark in Grenzen. Das Verhalten der koalierenden Grünen Partei überraschte allerdings schon Einige. Im Nationalrat stimmte die Partei bei zwei unterschiedlichen Gelegenheiten gegen die Aufnahme von 100 Geflüchteten aus Moria. Als Grund wurde der Koalitionszwang angegeben, sie wollten zwar Menschen aus Moria aufnehmen, aber ihnen seien die Hände gebunden. Dies ist allerdings eine dreiste Lüge, da der Koalitionsvertrag eine Klausel beinhaltet (S. 200), die für die Themen Migration und Asyl den Koalitionszwang aussetzt, sofern keine Einigung erzielt werden kann. Die Grünen könnten also sehr wohl für eine Aufnahme stimmen, aber anscheinend ist ihnen der Koalitionsfriede wichtiger, als Menschen zu retten. Enttäuschend, aber die Grünen hatten spätestens in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP gezeigt, dass sie Macht gerne über ihre Prinzipien stellen.

Da wir also nicht auf unsere Regierungen vertrauen können, müssen wir selbst Druck ausüben, um den Geflüchteten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dabei drängt die Zeit, denn auch in anderen Lagern gibt es bereits Ausbrüche von Covid-19 und die Ereignisse drohen sich zu wiederholen. Wir Linke müssen uns organisieren und Aktionsbündnisse aufbauen, um schnell und effektiv Druck gegen die Regierungen aufzubauen und diesen auch aufrechtzuerhalten. Auch müssen wir konsequent sein und nicht nachgeben, bis ALLE Geflüchteten aus den Lagern evakuiert sind und eine angemessene medizinische und psychologische Versorgung erhalten. Sie müssen sofort in andere europäische Länder gebracht und dezentral untergebracht werden, dabei würde es sich anbieten, den enormen Leerstand an Wohnungen und Häusern zu nutzen. So könnte alleine Wien alle 13.000 Geflüchteten von Moria in seinem Leerstand ein Zuhause geben. Anschließend muss es ihnen möglich sein, in ein Land ihrer Wahl zu reisen und dort zu bleiben. Es ist Zeit, dass Frontex, geschlossene Grenzen, Abschiebungen, und alles andere das zur Festung Europa gehört, Geschichte wird. Auch müssen die Fluchtursachen effektiv bekämpft werden, indem die zentrale Fluchtursache überwunden wird: Der Kapitalismus.


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