Kampf dem rassistischen Kopftuchverbot!
Die Regierung plant Schülerinnen unter 14 Jahren zu verbieten ein Kopftuch zu tragen. Wir sagen: Das ist rassistische Hetze!
Der Gesetzesentwurf zum Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren wurde diese Woche im Nationalrat mit breiter Mehrheit angenommen, allein die Grünen haben wegen der verfassungsrechtlich noch immer fragwürdigen Situation dagegen gestimmt. Tritt dieses Gesetz in Kraft, so dürfen unter 14-jährige muslimische Schülerinnen, unter Androhung von Verwaltungsstrafen im schulischen Kontext nicht mehr mit Kopftuch auftreten. Somit greift der Entwurf noch weiter als der bereits vom Verfassungsgerichtshof zurückgewiesene Vorschlag, der von der Schwarz-Blauen Regierung bereits im Jahr 2019 vorgelegt wurde und sich bloß auf die Volkschulen beschränkte. Das Ziel dieses Gesetztes sei, die minderjährigen Mädchen, denen das Tragen ihres Kopftuches verboten werden soll, „vor Unterdrückung zu schützen“ und ihnen „die Integration zu erleichtern“, wie von Seiten der Bundesregierung wieder und wieder betont wird. Man wolle „die Selbstbestimmung der unmündigen Mädchen stärken“ liest sich dazu auf der Website des Parlaments. Damit wird eine typische Argumentation des rassistischen bürgerlichen Feminismus aufgegriffen, denn eine Erklärung dafür, wie eine Kleidungsvorschrift die Selbstbestimmung tatsächlich fördern soll bleibt dabei aus.
Trotz der Berichterstattung der bürgerlichen Medien, welche sich zwar vereinzelt skeptisch äußern, das Verbot jedoch grundsätzlich als sinnvolle Maßnahme begrüßen, steht das Gesetz von allen Seiten unter Kritik. In klassischer Art des bürgerlichen Rechts ersetzt es bloß eine Vorschrift gegen eine andere, anstatt als die Entscheidungsfreiheit der Mädchen zu stärken, geschweige denn patriarchale Strukturen abzubauen, tauscht es den behaupteten Zwang der Eltern zum Tragen eines Kopftuches ein gegen den Zwang der Staatsgewalt, das Kopftuch eben nicht mehr zu Tragen.
Bezeichnend für die öffentliche Debatte zu diesem Thema bleibt vor allem, dass eine Perspektive zusehends untergeht, die der muslimischen Frauen und Mädchen selbst. Das ist keine große Überraschung, kommen diese nämlich zu Wort, so fast ausschließlich in Ablehnung eines solchen Verbots. Der propagierte „Schutz“ dem sich die österreichische Regierung in diesem Gesetz zumindest auf dem Papier verschreibt, soll also über die Köpfe der betroffenen Muslima hinweg passieren. Die Regierung entzieht ihren emanzipatorischen Ansprüchen also präventiv jegliche Glaubwürdigkeit, in dem sie die Stimmen jener, die dieses Gesetz betrifft von vornherein nicht zu Wort kommen lässt.
Was übrig bleibt, wenn man die leeren Versprechen um Schutz, „Integration“ und Emanzipation enttarnt, ist ein Gesetz, welches sich nahtlos in die rassistische Politik des österreichischen Staates einreiht. Auch, dass nun ausgerechnet die Schulen zu seinem Schauplatz werden, ist nichts neues. Nicht das erste Mal wird unter Vorwand des Jugendschutzes auf dem Rücken der Schüler*innen Politik gemacht, die sich allein an den Interessen der Herrschenden orientiert. So offenbart sich unter der stetigen Betonung öffentlicher Stellen, dass Jugendliche der betroffenen Altersklassen nicht fähig seien die volle Trageweite der Symbolik des Kopftuches zu begreifen, dass es niemals im Interesse der Regierung lag die Anliegen der Jugend ernsthaft anzugehen. Vielmehr werden den Schüler*innen von oben ihre Interessen diktiert, welche dann in mit einem fast klischeehaft anmutenden „Ihr werdet das verstehen, wenn ihr älter seid“ oder „Du bist noch zu jung, um das zu begreifen“ legitimiert werden.
Fast absurd wirkt auch die Einschätzung seitens der Regierung, das Gesetz solle junge Muslima sichtbar machen, wie es beispielsweise auch in Stellungnamen auf der Website des österreichischen Parlaments zu lesen ist, wo es doch eben das Gegenteil erreichen zu wollen scheint. Der Hijab beispielsweise weist unmissverständlich darauf hin, dass die sie tragende Person Muslima ist. Dieses Merkmal aus der Öffentlichkeit verbannen zu wollen ist also mehr eine Strategie Muslime in die Unsichtbarkeit zu drängen. Ähnlich wie die „Stadtbild-Aussage“ des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz marginalisiert der österreichische Staat durch dieses Gesetz Personen, die Teil unserer Gesellschaft sind und tut so, als wären sie es nicht. Es ist nicht der Schutz der Mädchen, der sie interessiert, sondern die Spaltung der Klasse durch das Unterdrücken und Marginalisieren eines Teiles und das Aufhetzen eines anderen gegen ihn. Außerdem ist es wohl fast zynisch eine Maßnahme, die Mädchen in der Schule staatlicher Repression aussetzt, als emanzipatorisches „Sichtbarmachen“ darzustellen. Dieses Verbot exponiert junge Muslima und legitimiert weiter Schikanen durch rassistische und sexistische Lehrpersonen.
Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper ist unverhandelbar. Die Einschätzung, ob jemand gerne Hijab trägt oder nicht, darf nicht beim bürgerlichen Staat liegen – sondern allein bei der Trägerin selbst. Im Laufe der Geschichte war der Hijab ein wichtiges Symbol des Widerstands (z.B. im antikolonialen Befreiungskampf Algeriens gegen Frankreich), aber auch Instrument der Frauenunterdrückung (wie in der Islamischen Republik Iran) – dasselbe lässt sich im Übrigen über die meisten religiösen Symbole sagen. Wir sehen die Bilder der iranischen Feminist*innen die gegen das vorgeschriebene Tragen eines Kopftuches einsetzen, wir hören die Stimmen der Muslima, die sich zu dem neuen Gesetzesentwurf äußern. Genau von den Interessen dieser Stimmen müssen die Anfänge jeder Bewegung ausgehen, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Freiheit von Unterdrückung zu erkämpfen und die Selbstbestimmtheit von Frauen zu stärken. Denn eine Bewegung zur Befreiung marginalisierter Gruppen, kommt nicht durch die Vormundschaft des Staates, noch sonst einer höheren Institution. Sie entsteht aus der Organisierung der Betroffenen patriarchaler und rassistischer Gewalt, Hand in Hand mit einer kämpferischen Arbeiter*innenbewegung die diese unterdrückerischen Strukturen an den Stellen angreifen kann, wo es dem System auch wirklich wehtut.
Es ist schließlich nicht das Kopftuch selbst, noch irgendein anderes Religiöses Symbol, das zum Problem wird. Es ist die Anmaßung eines patriarchalen Systems, den Körper der Frauen zu einem Spielort von politischen und ökonomischen Interessen und Vorstellungen machen zu wollen. Und in diesem Fall ist das Problem vor allem durch die imperialistische Aufteilung der Welt in unterdrückende, imperialistische Nationalstaaten (wie Österreich) und ausgebeutete Nationen (wie ein großer Teil des arabischen Raums Westasiens und Nordafrikas). Um diese weltumfassenden Strukturen der Ausbeutung aufrecht zu erhalten, wird uns eine Einteilung in „fortschrittlich“ und „demokratisch“ einerseits und „rückschrittlich“ und „autoritär“ andererseits verkauft. Diese Einteilung dient nicht nur dazu, die bessere Stellung von Arbeiter*innen im imperialistischen Zentrum gegenüber Arbeiter*innen in halbkolonialen (also imperialistisch ausgebeuteten) Ländern, sowie den aus diesen Ländern immigrierten Arbeiter*innen zu rechtfertigen. Sie dient in letzter Instanz direkt zur Rechtfertigung von Kriegen – ist die Arbeiter*innenklasse soweit entlang „nationaler“ Linien gespalten, ist es leichter, sie auf ihre Klassengeschwister in anderen Ländern loszuhetzen. Es ist also kein Zufall, dass der bürgerliche Feminismus Hand in Hand mit dem bürgerlichen Staat immer wieder auf Rassismus zurückgreift, um den wahren Kern patriarchaler Unterdrückung im Kapitalismus nicht anerkennen oder angreifen zu müssen.
Das individuelle Ausleben einer Religion, mitsamt der Symbole, Bräuche und Riten muss jeder einzelnen Person gleichermaßen freistehen. Wobei die gesellschaftliche Funktion der Religionen immer kritisch hinterfragt werden müssen. Nicht einzelne Personen, die sich eines bestimmten Glaubens bekennen sollten im Zentrum einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Glauben stehen, sondern der Glauben in seiner institutionellen Form. Schlussendlich bedeutet die Selbständigkeit von Mädchen zu stärken genau so sehr ihr Entscheidung zu akzeptieren, die Hijab zu tragen. Denn problematisch ist jegliche Form physischer Bekenntnisse zu einem Glauben oder einer kulturellen Norm erst dann, wenn sie gegen den Willen der sie tragenden Person passiert, wenn Frauenkörper dem Kalkül patriarchaler Bevormundung unterlegt werden – egal ob diese aus religiösem Fundamentalismus oder aus liberalen Schutzfantasien entspringt.
Was das Kopftuch auf jeden Fall macht, ist den Tragenden Sichtbarkeit zu verschaffen. Es ist unausweichliche Bekundung der eigenen Identität, beispielsweise als Muslima. Es schafft eine Sichtbarkeit, die nicht jene Aspekte der Identität ausblendet, die der Staat so bemüht ist aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Denn was bleibt übrig, wenn man die vorgeschobenen Argumente für ein das Verbot als die leeren Phrasen enttarnt, die sie sind? Weil ein Gesetz nicht auf eine Bildung frei von religiöser Beeinflussung hinarbeiten kann, wenn es sich bloß auf eine einzige Religion bezieht. Weil ein Gesetz nicht Gleichstellung fördert, wenn es sich ausschließlich auf eine Minderheit richtet. Es bleibt ein Gesetz, dass sich nahtlos einreiht die rassistische Politik des österreichischen Staates, der weiter versucht die Missstände, denen sich die Bevölkerung ausgesetzt sieht zu kaschieren und Frustration über die laufenden Kürzungen von Sozialleistungen, über das laufende Zurechtstutzen des Sozialstaates und über die Offensichtlichkeit, mit der in wirtschaftlichen Krisenzeiten auch der demokratische Spielraum aufgegeben wird, den sich Arbeiter*innen innerhalb der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse erkämpft haben, in Rassismus zu kanalisieren. Statt also Maßnahmen zu ergreifen, die das Leben der in Österreich lebenden Menschen verbessern würde, wird Zeit mit rassistischer Symbolpolitik verschwendet.
Mit dem stetigen Voranschreiten des antimuslimischen Rassismus in den imperialistischen Zentren wird es immer bedeutender sich von der Hoffnung auf den bürgerlichen Staat als schützende Kraft abzuwenden, denn seit es ihn gibt, funktioniert er als Unterdrücker. Wir sehen wie die Herrschenden sowohl in ihrer Rhetorik als auch in ihren Handlungen rassistische Klischees bedienen, Minderheiten in Stich lassen und offen die alleinige Loyalität mit dem Großkapital bekennen. Wenn mehr und mehr Rassistische Aussagen und Haltungen ihren Weg in die breite Öffentlichkeit finden, ist es unsere Aufgabe, wieder und wieder aufzuzeigen, dass nur die Herrschenden von einer solchen Spaltung unserer Klasse profitieren. Es ist die Aufgabe der Jugend und der Arbeiter*innen, sich zu organisieren und kollektiv für die gemeinsamen Interessen einzustehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Rassismus die Funktion erfüllt, einen Teil der globalen Arbeiter*innenklasse gegen einen anderen auszuspielen.
Besonders in der Jugend, an die sich das Gesetz richtet, ist diese Form einer eigenständigen Organisation wichtig. Schüler*innen zu stärken bedeutet ihnen die Möglichkeit zu geben eigenständig politisch aktiv zu werden. Sie zu ermächtigen für ihre eigenen Interessen einzustehen, Schüler*innenräte zu gründen und Schulstreiks zu organisieren, um sich und den eigenen Anliegen Gehör zu verschaffen. Für die freie Entfaltung der Jugend braucht es eine wirkliche Unabhängigkeit, sowohl von der Vormundschaft der Erziehungsbeauftragten als auch von Staat, Regierung und Kapital. Und um dieses Ziel zu erreichen können wir uns nicht auf den Staat verlassen, sondern brauchen eine starke und organisierte Jugend, die sich kämpferisch gegen jegliche Form der Unterdrückung zur Wehr setzt.
***Für das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper, gegen die Vormundschaft von Staat und Familie!
***Gegen rassistische Instrumentalisierung der Kämpfe gegen patriarchale Strukturen! Für eine solidarische Organisierung gegen Sexismus und gegen antimuslimischen Rassismus.
***Glauben ist Privatsache, gegen staatliche Eingriffe und Vorschriften bei der Praxis von Religion! Demokratische, selbstorganisierte Verteidigung gegen jede Instrumentalisierung von Religion für Unterdrückung und Ausbeutung.
***Für demokratisch gewählte Antidiskriminierungsstellen an Schulen, von Schüler*innen für Schüler*innen, für eine kämpferische Organisierung der Jugend gegen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus!
***Gegen die Nutzung von Lehrpersonen als verlängerten Arm der Polizei und des bürgerlichen Staats, für eine solidarische und kämpferische gewerkschaftliche Organisierung!




