Kurdistan: AKP-Regierung bereitet den Krieg vor

In den letzten Tagen und Wochen hat die türkische Regierung einen Rundumschlag gegen kurdische und linke Kräfte gestartet. Mehrere hundert Aktivist*innen der pro-kurdischen Parlamentspartei HDP, Unterstützer*innen von PKK und „Kurdischer Jugend“ („Komalen Azad“) sowie linker türkischer Organisationen wie der DHKP-C wurden verhaftet. Auf Solidaritätsdemonstrationen schießt die Polizei mit scharfer Munition (und hat dabei mindestens zwei Aktivist*innen ermordet). Aber nicht nur in der Türkei wird die Opposition mit brutaler Gewalt aus dem Weg geräumt: Unter dem Vorwand, sich gegen den IS zu verteidigen und mit dem erklärten Ziel, die links-nationalistische PKK zu zerschlagen, bombardieren türkische Flugzeuge Stellungen im kurdischen Teil des Iraks und in Syrien. Auch das erst kürzlich vom faschistischen IS befreite Kobane brennt wegen den türkischen Angriffen. Diese Welle der Gewalt ist eine massive Bedrohung für die Linke in der Türkei und für die kurdische Bevölkerung.

Die Angriffswelle auf die kurdische und die linke Opposition in der Türkei ist ein Bruch mit der bisherigen „Friedenspolitik“ der AKP-Regierung, bei der minimale Zugeständnisse bei nationalen Freiheiten gegen eine Entwaffnung der kurdischen PKK getauscht werden sollte. Der Hintergrund bleibt aber der selbe: Für die islamistische und türkisch-chauvinistische AKP ist die nationale Unterdrückung der Kurd*innen und das Verhindern eines kurdischen Staates ein politischer Grundpfeiler. Der Wahlerfolg des Bündnisses aus linken und kurdischen Organisationen, Halklarin Demokratik Partisi (HDP, „Demokratische Partei der Völker) mit 13,12 % und der Erfolg der kurdischen Selbstverteidigungskräfte YPG in Rojava stellten eine „friedliche Unterordnung“ aber immer wieder in Frage. Gerade deshalb schlägt die AKP jetzt doppelt brutal gegen fortschrittliche Gruppen zu – auch um ihre Basis, Arbeiter*innen und Jugendliche in den armen Vierteln und Städten unter Kontrolle zu bekommen.

Als Vorwand dient der Regierung eine Eskalation der IS-Aktivitäten auf türkischem Staatsgebiet. Die faschistische Miliz konnte bisher auf türkischem Boden ungestört agieren, Gerüchten zufolge hielten sie Seminare in einer Istanbuler Universität ab, griffen dort linke Studierende an und ließen verwundete Kämpfer*innen in türkischen Spitälern behandeln. Tatsächlich besteht schon lange der Verdacht, dass die Türkei den IS und andere islamistische Gruppen der syrischen Opposition unterstützt und auch mit Waffen beliefert. Sie haben ein unabhängiges und kämpferisches Kurdistan unter der Kontrolle der PYD/ PKK als gemeinsamen Feind.

Letzte Woche gingen die IS-Mitglieder in die Offensive: In Suruc wurden durch einen Bombenanschlag 32 Aktivist*innen ermordet, die als Teil einer Jugendbrigade den Aufbau der kurdischen Stadt Kobanê unterstützen wollten. Wenige Tage später starb ein türkischer Grenzsoldat bei einer Schießerei mit IS-Kämpfern, der ihnen den Grenzübergang verwehrte, um einen Verletzten in ein türkisches Krankenhaus zu bringen. Doch weder die Verhaftungswelle (einige der etwa 100 festgenommenen IS-Mitglieder kamen schon wieder frei) noch die Bombardements konzentrieren sich auf die Terrorist*innen. Der Konflikt mit dem IS, der tatsächlich brandgefährlich ist, wird von der AKP als Vorwand für die Beseitigung der Opposition benutzt. Erdogan startet hier den zweiten Versuch, die Türkei noch autoritärer zu organisieren. Nach der Niederlage bei den Wahlen (die AKP konnte keine Mehrheit erreichen und so die Verfassung nicht verändern) greift er jetzt zu härteren Mitteln. Seit den Wahlen am 07.Juni wurde immer noch keine Regierung gebildet. Durch den Wahlerfolg der HDP kann die AKP nicht mehr alleine regieren, sondern ist erstmals seit 13 Jahren auf eine Koalition angewiesen. Bei Neuwahlen bestünde die Chance, dass die HDP die 10 Prozenthürde nicht noch einmal überwindet. Um dieser reaktionären Hoffnung auf die Sprünge zu helfen, versucht sich die AKP aktuell als großen Stabilitätsfaktor zu präsentieren, aber auch die prokurdische Partei als Kollaborateur des Terrorismus darzustellen und somit ihr Verbot herbeizuführen.

Unter dem Polizeiterror leiden auch und vor allem Jugendliche, die oft die aktivsten Teile der Proteste stellen. Generell leidet die Jugend in der Türkei unter den Folgen des abrupt gestoppten Aufschwungs des „Tigerstaats“ Türkei nach der Finanzkrise. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 18,2 % (im kurdisch dominierten Süden und Südosten 30 %) und der zunehmend rückschrittliche und neoliberale Kurs der Regierung (Einschränkung des Alkoholverkaufs, Umwandlung von öffentlichen Parks in kommerzielle Zentren, massive Ungleichheit im Schulsystem) lässt die Perspektiven für junge Leute immer mehr dahinschwinden.

Auch für Frauen stellen die Angriffe auf die kurdische und linke Bewegung einen massiven Rückschritt dar. Bei allen Problemen der kurdischen Gesellschaft ist doch die Bewaffnung von Frauen in PKK, PJAK und YPJ und der politische Kurs der Linken der durchschnittlichen gesellschaftlichen Realität von Frauen meilenweit voraus. Ein Bombardement von Rojava bedeutet das Bombardement eines Gesellschaftsmodells, das Frauen weitreichende Gleichberechtigung zugestehen möchte, Angriffe auf die Linke bedeuten auch eine Stärkung von rückschrittlichen und frauenunterdrückerischen Kräften.

Der Widerstand findet an vielen Fronten statt. Die PKK hat tausende Kämpfer*innen unter Waffen und kann kurdische Gebiete eventuell verteidigen, auch in den Arbeiter*innenvierteln gibt es bewaffnete Gruppen. Die HDP verfügt dafür über ein breites politisches Mandat, hat sich aber bisher für einen opportunistischen Kurs entschieden und sogar der AKP eine Koalition angeboten. Andere Gruppen wie die DHKP-C setzen auf den bewaffneten Kampf in den Städten und individualistische Attentate. Die zersplitterte stalinistische und maoistische Linke wie zum Beispiel die MLKP setzt auf eine doppelgleisige Strategie aus bewaffnetem Widerstand und halblegaler Organisierung.

Das Problem ist hier die offensichtliche Führungskrise – weder die Arbeiter*innenbewegung, die unterdrückte Jugend noch die Organisationen der fortschrittlichen kurdischen Befreiungsbewegung sind in der Lage gemeinsam zuzuschlagen. Zum Teil sind ihre Taktiken abenteuerlich, wie Attentate auf einzelne Polizist*innen oder den berüchtigten Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz in Istanbul. Rache für die staatlichen Morde und die Unterdrückung mag zwar verständlich sein, bringt aber die Bewegung nicht weiter. Sie machen es um einiges schwieriger die Kämpfe von städtischen Arbeiter*innen und Armen mit der nationalen Befreiungsbewegung und dem Widerstand gegen das Erdogan-Regime zu vereinigen. Aber auch der Opportunismus der HDP als selbsternannte Stimme der Unterdrückten gegen die Unterdrücker*innen schadet der Bewegung massiv. Wenn die Partei ihren Kurs nicht radikale umdreht, manövriert sie sich selbst in die Handlungsunfähigkeit und Bedeutungslosigkeit.

Der Kampf gegen die autoritären Bestrebungen der AKP und die mörderische nationale Unterdrückung kann von keiner der beteiligten Kräfte alleine geführt werden. So wie die verschiedenen Probleme insofern zusammenhängen, dass sie von derselben Seite ausgehen, muss auch der Widerstand unter einem Dach koordiniert werden. Ökonomischer Druck durch die riesige Arbeiter*innenklasse und der Bauernschaft des Landes gegen Regierung und Kapitalist*innen muss verbunden werden mit der militanten Verteidigung der Bewegung, ihrer Bastionen in den Städten und der kurdischen Gebiete.

Bei aller Kritik an falschen Taktiken und fehlender Koordination ist aber die Solidarität das Gebot der Stunde. Gerade die europäische Linke und die antifaschistische Bewegung hat die Pflicht, den kurdischen und türkischen Genoss*innen mit politischer und praktischer Solidarität zur Hilfe zu kommen. Das bedeutet auch die (praktische)? Unterstützung von Aktionen, die wir selbst nicht durchführen würden und die Verteidigung von allen, die deshalb von staatlicher Repression betroffen sind. Gerade linke Gruppen in Österreich haben wahrscheinlich noch nie einen Angriff von dieser Gefährlichkeit erlebt und müssen sich jetzt überlegen und den Rat der kurdischen und türkischen Genoss*innen einholen, wie sie den Kampf unterstützen können. Es ist auch wichtig zu bedenken, dass die Angriffe und die Abschottung von Kobanê eine enorme Bedrohung für diese Frontstadt des antifaschistischen Kampfes gegen den IS bedeuten. Das kann, wenn überhaupt, nur durch eine Verstärkung der internationalen Solidaritätsbewegung ausgeglichen werden.

Denn der rückschrittliche Kurs der AKP-Türkei wird von der NATO, der Europäischen Union und auch Österreich teils direkt und teils indirekt unterstützt. Die Türkei spielt in der Region die Rolle eines „lokalen Hegemons“, also einer Vormacht. Sie wird von der NATO mit Patriot-Raketen unterstützt und vor allem von den USA als Militärbasis benutzt und stimmt ihre Militärpolitik mit den zentralen imperialistischen Staaten ab um die Herrschaft der Kapitalist*innen über einen möglichst großen und ölreichen Teil der Erde sicherzustellen. Vor allem der chauvinistische Kampf gegen die Kurd*innen wird von der EU insofern unterstützt dass die PKK als „terroristische Organisation“ verboten und ihre Unterstützer*innen auch in Österreich kriminalisiert werden. Der tatsächlich terroristische Staatsapparat wird aber durch Handel gefördert und politisch unterstützt. Der Widerstand dagegen muss auch im Herzen der imperialistischen Bestie, in Europa und den USA, aufflammen!

  • Wir stehen in voller Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf und den Aufständen gegen das Erdogan Regime! Wir unterstützen und verteidigen jede Aktion, die sich gegen die reaktionäre Politik der AKP-Regierung, gegen den faschistischen IS und gegen ihre Unterstützer*innen richtet, solange dabei keine Zivilist*innen angegriffen werden.
  • Wir unterstützen die Forderung nach einem Rücktritt der Erdogan-Regierung, einer Einstellung der Bombardements, einer Abschaffung der US- und NATO-Militärbasen in der Türkei sowie einer Volkabstimmung über den Status der kurdischen Gebiete!
  • Wir fordern, dass PKK, DHKP-C und andere fortschrittliche Organisationen von der EU-Terrorliste (und allen nationalen vergleichbaren Listen) gestrichen wird!
  • Wir fordern internationale Solidarität der antifaschistischen und der Arbeiter*innenbewegung in Worten und in Taten!