Queer Theory
Sexismus ist ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem und historisch gesehen auch eines der ersten menschlichen Unterdrückungsverhältnisse. Die Bewegung für die Gleichstellung aller Geschlechter und das Verhindern von Frauenfeindlichkeit an sich findet unter dem Wort: „Feminismus“ einen allseits bekannten, wenn auch oft nicht allzu beliebten, Kampfbegriff. Allein bei der Aussage: „Ich bin Feminist*in“ kommt es rasch beim Gegenüber zu Verzweiflungsausbrüchen. Wieso denn immer dieser Fokus auf Frauen, Männer seien doch auch unterdrückt oder, die berechtigtere Kritik, dass andere Menschen mit nicht binären (also sich weder als männlich noch als weiblich definierende Leute) Geschlechtsidentitäten auch enorme Probleme hätten und dieser oben genannte Kampfbegriff sie nicht inkludiere.
Klar, wir leben in einer Welt in der die Abweichung von der „Norm“ (die ja auch immer nur von der herrschenden Gesellschaft und damit dem Kapitalismus festgelegt wird) ein Problem ist. Wieso man trotzdem den Fokus auf die frauenspezifische Unterdrückung nicht verlieren darf, ist eine spannende Frage, die auch historisch eine nicht irrelevante Bedeutung hatte. Und deshalb beginnt auch genau bei dieser Frage, hier die Auseinandersetzung mit der Queertheorie.
Der Dekonstruktivismus (quasi eine „wissenschaftliche Hinterfragungstaktik“) der im Bereich der sogenannten Queertheorie immer wieder als Werkzeug angewandt wird, versucht, z.B. in diesem Kontext im ständigen Diskurs, Geschlechterrollen oder genaues Geschlecht an sich in Frage zu stellen. Die Unterteilung in biologisches Geschlecht (sex) und gesellschaftliches (gender) (und natürlich auch der Sexualität (desire) auf die, wegen des Schwerpunktes des Textes, nicht genauer eingegangen wird) war schon ein großer Fortschritt der Frauenbewegung der 1970er Jahre, aber die Queertheorie geht noch einen Schritt weiter, sie streitet ersteres (also das biologische) ab. „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“ ein Kernsatz von Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“, der aussagen soll, dass das weibliche Geschlecht, so wie es jetzt wahrgenommen wird, ein Produkt unserer Gesellschaft ist, kann natürlich in queerfeministischer Interpretation als eine Aberkennung von „weiblichen“ und damit auch „männlichen“ gelten. So wie Geschlechterrollen ein historisches langwieriges Produkt sind, ist, laut der Queertheorie, die (binäre) biologische Einteilung auch etwas das auf gesellschaftlicher Konstruktion beruht.
So weit so gut. Aber kann man wirklich, mit Abstreiten der Kategorie „Frau“ und einem „dekonstruktivistischen Diskurs“ über Identität und Sexualität, das Unterdrückungsverhältnis, dem Frauen in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind, einfach übergehen? Ist es möglich das „Frau-sein“ einfach hinter sich zu lassen und seine eigene Identität einfach so festzulegen?
Die Antwort auf diese Fragen lautet Nein. Klar ist es wichtig sich selber der Geschlechterrolle bewusst zu werden, die einem zugeordnet wurden, aber der Kampf um diese aufzubrechen kann kein isoliertes Produkt eigener Definitionen und Theorien sein. Sprache als formender Faktor der Realität hat bei der tatsächlichen Gewalt an Frauen und sexistisch unterdrückte Menschen ausgesetzt sind, kaum Wahrheitsgehalt. Konsequent zu Ende gedacht ist die Queer-Theory auch kein brauchbares Instrument um für Frauenbefreiung zu kämpfen, weil wenn sie sich selbst ernst nehmen würde die Kategorie von „Frau“ auflösen müsste und so theoretisch keinen positiven Ansatzpunkt sehen würde sich damit zu identifizieren (weil es ja darum geht Geschlechterverhältnisse aufzulösen). Der Kampf um sexuelle Selbstbestimmung, Wahlrecht, Gleichberechtigung (die in vielen Aspekten natürlich immer noch nicht erreicht sind) sind Kämpfe die aktiv geführt werden müssen. Und selbst das sind nur kleine Aspekte von den Dingen, gegen die wir wirklich kämpfen müssen, Kapitalismus, Unterdrückung und Ausbeutung, denn solange es diese Gesellschaftsordnung gibt, wird jede mühevoll erkämpfte Phrase bezüglich Gleichberichtigung aller Geschlechter wieder zurückgenommen oder keine Konsequenzen daraus gezogen werden. Die Frau in einer besonderen Ausbeutungssituation („Die moderne Frau ist in Nichts besser, in vielem schlechter dran als der moderne Lohnarbeiter. Wie dieser ist sie ausgebeutet und rechtlos, ja in den meisten Fällen doppelt ausgebeutet und doppelt rechtlos.“ Wie Clara Zetkin schon vor hundert Jahren so gut formulierte) ist im Kontext der bürgerlichen Familie als Produktivkraft, wie auch als „Reproduktivkraft“, zu verstehen. Reproduktiv, weil es abseits von ihrer Aufgabe, im Teilzeitjob die Haushaltskasse ein wenig zu unterstützen, gleichzeitig an der modernen Hausfrau liegt, das Zuhause sauber zu halten, Kinder zu zeugen und die Familie zu bekochen, was wiederum quasi „gratis“ ein Fortbestehen der Arbeitskraft in der bürgerlichen Familie sichert. Nicht nur die von außen wahrgenommenen Unterdrückung, sondern auch die ökonomischen Unterdrückungsverhältnisse machen die „Frauenfrage“ heute nochmal speziell zu einem wichtigen Ansatzpunkt um gegen Diskriminierung zu kämpfen.
Ein weiterer mit der Queertheory verknüpfter Punkt ist die oft angewandte Idee der Intersektionalität, die dem speziellen Unterdrückungsverhältnis der Frau, mit sich überschneidenden und teilweise addierenden Unterdrückungsverhältnissen antwortet. Hier geht es darum, dass z.B. eine Unterdrückung aufgrund von Geschlecht, gemeinsam mit einer rassistischen Diskriminierung und einer bestimmten Klassenzugehörigkeit, nicht nur schlimmer ist als ein Faktor alleine, sondern ein ganz neues Machtgefälle schafft. Abgesehen davon, dass diese Analyse gar nicht auf tatsächlichen objektiven Begebenheiten (also auch ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen) beruht, sie oft zu einer Stimmung in der LGBTQIA+ Bewegung, oder genauer in der „Bewegung“ der Unterdrückten, die problematische Auswirkungen hat. Unterdrückungsverhältnisse gegeneinander aufzuwiegen und nur davon zu sprechen, welche Person von welcher Diskriminierung profitiert, anstatt gemeinsam gegen die Leute vorzugehen die verantwortlich für diese Situation sind, macht alles kaputt wofür Frauen und die Internationale Arbeiter*innenbewegung seit jeher gekämpft haben. Klasse ist nicht nur ein Unterdrückungsverhältnis von vielen, es ist das Ausbeutungsverhältnis, mit deren Aufhebung die vollständige Auflösung aller anderen Faktoren der Intersektionalität erst beginnen kann.
Ohne wirklichen Bezug auf die materielle Welt ist auch tatsächliche gesellschaftliche Veränderung ein Ding der Unmöglichkeit. Nur den politischen Überbau zu kritisieren und hier unsere Veränderung permanent machen zu wollen, ist eine regelrechte Sisyphos-Arbeit, wenn wir die ökonomische Basis, die nur allzu oft Grund für dieses Machtgefälle ist, nicht abschaffen. Wir müssen den Kampf für Frauenrechte und für die LGBTQIA+ Bewegung verbinden mit dem Kampf der Ausgebeuteten gegen ihre Ausbeuter*innen, der Diskriminierten gegen ihre Unterdrücker*innen. Deshalb können wir eine Forderung nach einer Frauenbewegung nicht einfach so stehen lassen, wir müssen mehr das fordern, was der herrschenden Klasse wirklich wehtut. Eine proletarische Frauenbewegung, eine Bewegung die gemeinsam für die Interessen der Meisten kämpft. Nur so können wir für eine Zukunft eintreten, in der wirklich alle Menschen gleichberechtigt Leben können.