Jugendproteste in Nordafrika

Nach der Selbstverbrennung des 18-jährigen Tunesiers Mohamed Bouazizi aus Protest gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und die um bis zu 50% gestiegenen Lebensmittelpreise erreichen die Proteste im Maghrebgebiet von Tunesien und Algerien neue Dimensionen, 10.000 sind auf den Straßen.

In Algerien gibt es in letzter Zeit immer wieder teils sehr militante Proteste gegen die Erhöhung der Preise auf Grundnahrungsmittel. Seit Anfang des Jahres stiegen Preise für Mehl und ähnliche Nahrungsmittel um bis zu 50%. Die Verteuerung der Lebensmittelpreise in Nordafrika ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass am Aktienmarkt sehr viel mit Lebensmitteln spekuliert wird. In Ain Lahdel in der Provinz M’Sila wurde bei Auseinandersetzungen zwischen Polizei und DemonstrantInnen ein 18-jähriger von der Polizei erschossen. Mehrere DemonstrantInnen wurden verletzt. Die protestierende Menge hatte zuvor versucht die Post und ein Verwaltungsgebäude zu besetzen.

Sowohl in Tunesien als auch in Algerien gibt es in letzter immer mehr Proteste gegen Arbeitslosigkeit, Korruption, Verteuerung der Grundnahrungsmittel und härterer Repression. Die Protestbewegung wird vor allem von arbeitslosen Jugendlichen (die Arbeitslosigkeit ist bei 14%, bei Jugendlichen bei über 30%) und StudentInnen getragen. Die starke Korruption führt auch dazu, dass man nur mehr mit den richtigen Beziehungen einen Job bekommt und dass es daher speziell für junge Leute schwer ist einen Job zu finden.

Am 5. Jänner trugen 5.000 Menschen Mohammed Bouazizi, der sich am 17. Dezember aus Protest selbst angezündet hatte und dabei „Schluss mit der Armut! Schluss mit der Arbeitslosigkeit!“ geschrien hatte, in Tunesien zu Grabe. Die Polizei reagierte mit Härte und erschoss 2 Menschen bei der darauf folgenden Demonstration. Die Protestwelle hat längst auf größere Teile des Landes übergegriffen. Am Donnerstag gab es massive Proteste, auf Twitter und Facebook gab es Berichte von Schulstreiks, Demonstrationen und Blockaden von Eisenbahnlinien.

Doch auch im benachbarten Algerien gibt es Proteste aus ähnlichen Motiven. Am Donnerstag errichteten Jugendliche Blockaden und zogen mit Stangen und Säbeln bewaffnet in die Villenviertel und räumten Luxusgeschäfte leer. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Tränengas vor, verletzte mehrere der Protestierenden und patrouillierte bewaffnet die ganze Nacht. In der Provinz Kabylei wurden Straßen blockiert und das Gerichtsgebäude ging in Flammen auf. Als Reaktion auf die Proteste wurden Telefonanbieter aufgefordert SMS und Telefongespräche zu blockieren, um weitere Proteste zu verhindern.

Wichtig ist es jetzt, dass sich die Protestierenden in den einzelnen Städten und Provinzen vernetzen, jederzeit abwählbare VertreterInnen wählen, und eine Koordination über die Landesgrenzen hinweg aufbauen um den Protest zu stärken und der Verwirrungstaktik der Regierung einen gemeinsamen Kurs entgegenzusetzen. Weiters ist es wichtig, dass man versucht, Streikaktionen zu setzen und dem ganzen Protest eine antikapitalistische Perspektive zu geben.

Wir treten dafür ein, dass Jugendliche, ArbeiterInnen und Arbeitslose, ArbeiterInnen-Milizen aufbauen, um sich vor der Polizei zu schützen und der Staatsgewalt ein gut koordiniertes Verteidigungsorgan der Unterdrückten entgegenzustellen.

Es ist nicht ein einzelner Staatschef, der an dem ganzen Unrecht schuld ist, sondern das System in dem wir leben, der Kapitalismus. Nach der Staatsschuldenkrise wirken sich die verstärkten Spekulationen auf dem Lebensmittelmarkt vor allem auf die reicheren Länder  der so genannten „Dritten Welt“ aus. Tunesien wird von einem sehr autoritären Familien-Clan der Ben Ali beherrscht, die auf Kosten der ärmeren Bevölkerung eine verstärkte Wirtschaftskooperation mit der EU eingegangen ist. Dadurch wurde Algerien nicht nur zum folternden Kompagnon der EU beim Schutz der „Außengrenzen“ sondern begab sich in massive Abhängigkeit, gerade auf dem Bereich der Grundnahrungsmittel und Energie. Hier wird die imperialistische Unterdrückung des Maghreb-Gebiets vor allem von lokalen Machteliten getragen, die dafür die Interessen ihrer „Sponsoren“ mit äußerster Grausamkeit (Straßenterror, Folter und Mord) wahren.

Die über nationale Grenzen hinaus gehende Problematik sieht man auch sehr gut daran, dass sowohl in Algerien, als auch in Tunesien sehr ähnliche Probleme bestehen.

Die gegenwärtige Situation erfordert mehrere „Schienen der Eskalation“, um die Proteste zu einem Sieg zu führen: Zuerst einmal muss der Protest sich koordinieren und auch in die Betriebe getragen werden, um die Regierungen ökonomisch unter Druck zu setzen. Gerade in Tunesien ist es auch wichtig, mittelfristig den Sturz des autoritären Regimes der Familie Ben Ali und den Aufbau einer Regierung der Arbeiter_innen und armen Bauern anzustreben. Zur Sicherung der Lebensmittelpreise müssen neben Preiskomitees auch ein Außenhandelsmonopol erkämpft werden, um die Ausbeutung durch die imperialistische EU anzugreifen.

An der enormen Preissteigerung ist ja vor allem die zunehmende Spekulation auf den Rohstoffbörsen nach der Staatsschuldenkrise und den Gegenmaßnahmen („Rettungsschirm“ der EU, usw.) schuld. Für die Bevölkerung der Maghrebstaaten ist es daher notwendig, für mehrere Forderungen gegen die unleistbaren Preise zu kämpfen: Auf der einen Seite müssen Preiskomitees der Bevölkerung und der Arbeiter_innen eingesetzt werden, um die Profite der lokalen und internationalen Unternehmer_innen einzudämmen. Sie sollen Preise festsetzen, die sowohl für die Kleinbauern als auch für die Konsument_innen tragbar sind. Auf der anderen Seite muss für ein staatliches Außenhandelsmonopol gekämpft werden. Die verstärkte Bindung der Ben-Ali-Regierung an die EU hat zu einer enormen Abhängigkeit im Export wie im Import geführt – nur eine Kontrolle durch die Arbeiter_innen in den betroffenen halbkolonialen Staaten kann den Einfluss des Imperialismus brechen. Das bringt natürlich eine internationale Komponente, über die angrenzenden Staaten in denen wie in Algerien ebenfalls gegen Preisexplosion und Arbeitslosigkeit gekämpft wird hinaus gehend, ins Spiel: Nur gemeinsam kann die Arbeiter_innenklasse in den imperialistischen wie in den halbkolonialen Staaten tragbare Lebensbedingungen erkämpfen – in letzter Konsequenz auch nur durch eine Überwindung des kapitalistischen Systems.

Die Perspektive für die algerischen und tunesischen Jugendlichen, Arbeiter_innen und Bauern liegt in der Eskalation dieses Kampfes und damit in Streikmaßnahmen, Besetzungen und Gegenmachtorganen wie Milizen und Räten. Im Endeffekt wird jedoch bloß der Umsturz der Regierung und der Aufbau einer Arbeiter_innen- und Bauernregierung diese Forderungen durchsetzen können.

Hoch die internationale Solidarität und volle Solidarität mit den Protestierenden!