Baltimore: Rebellion ist gerechtfertigt

Baltimore im Jahre 2015. Ein Junger Mann, afroamerikanischer Abstammung, versucht der polizeilichen Repression zu entgehen. Freddie Gray, 25 Jahre alt, hält sich am Morgen des 12. April auf einer Straße in Sandtown-Winchester auf, einem Stadtteil Baltimores. Er sieht einen sich ihm nähernden Polizeiwagen. Das sollte eigentlich kein Grund sein, sich fürchten zu müssen. Aber in einem so kaputten System, wie es der Kapitalismus in Baltimore geschaffen hat, kann Freddie nur eines: Weglaufen. Recht hat hier nur, wer es sich leisten kann, also wer reich ist oder der weißen Bevölkerung angehört, die mit gerade mal 28 Prozent Bevölkerungsanteil in der Lage ist, die Mehrheit zu dominieren. Freddie wird von der Polizei zu Boden gebracht und misshandelt. Nur eine Woche nach dem Angriff, am 19.04.2015, erliegt er seinen Verletzungen.

Eine schwer verletzte Wirbelsäule, bei der drei Wirbel gebrochen sind und eine Kehlkopfverletzung sind Resultat rohen Gewaltmissbrauchs und von Menschenverachtung. Alles, was Freddie getan hat, war ein Klappmesser mit sich zu führen. Er wurde von den Polizisten mitgenommen. Auf der Fahrt versuchte Freddie klar zu machen, dass er Schmerzen habe und Hilfe benötigt. Dies war den Polizist*innen egal. Viel zu spät wurde er ins Krankenhaus gebracht.

Das tragische an diesem sinnlosen Tod ist, er passt in den Normalzustand für die unterdrückten Arbeiter*innen in Baltimore, in ganz Amerika. Freddie Gray oder der in Ferguson erschossene Michael Brown sind leider nur Beispiele für die entsetzliche Polizeiwillkür. Die gesellschaftliche Rolle der Polizei wird in Baltimore besonders offensichtlich. Sie ist eine Terroreinheit der herrschenden Klasse und hält diejenigen, die sich wehren könnten, mit brutaler Gewalt in einem ständigen Schockzustand. Am 25. April begannen die ersten Demonstrationen gegen das verkommene System, das schuld ist an so vielen Toten, das schuld ist an der prekären wirtschaftlichen Lage. Der Widerstand der Arbeiter innen wurde jedoch schnell von Polizei, Politik und den vermeintlich unabhängigen Medien angegriffen.

Die Polizei kriminalisiert alle, die für Freddie auf die Straße gehen und für Gerechtigkeit kämpfen. Der Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, hat bereits den Notstand ausgerufen. Dadurch wird auch noch die militärische Nationalgarde in die Stadt geholt. Das bedeutet noch mehr Macht für die Polizei und noch mehr Repression für die Arbeiter*innen. Der afroamerikanischen Bürgermeisterin der Stadt Baltimore, Stephanie Rawlings-Blake, ist natürlich längst klar was für ein Unrecht hier geschieht. Aber sie ist ein Teil des Systems und wird ihre komfortable Position nicht in Gefahr bringen, um den Unterdrückten zu helfen. Die Medien gestehen sich zwar zumeist ein, dass die Demonstrationen und Krawalle eine Reaktion auf ein Verbrechen sind, aber dieser Widerstand wird auch hier als Gewaltexzess verunglimpft. Zu alledem wollen sie der Bevölkerung weismachen, dass die Justiz sich der Sache annimmt und wahres Recht spricht. Das ist entweder naiv oder einmal mehr Zeugnis dafür, dass der große Medienapparat eine Art Schwarzes Brett für die Meinung der Reichen ist.

Während der Mörder von Michael Brown auf freien Fuß ist, sind die Täter im Fall Freddie Gray bis auf weiteres vom Dienst freigestellt, bezahlt versteht sich. Sollten diese Leute nicht in Arrest genommen werden, bis es zu einem Verfahren kommt? Sollte das Baltimore Police Department sich nicht distanzieren von den mutmaßlichen Tätern, bis ein Rechtsspruch vorhanden ist? Diese Überlegungen stellen sich anscheinend nur noch die ausgebeuteten Arbeiter*innen, denn nur von hier ist Empörung zu spüren, der Wille etwas zu ändern.

Die Unruhen in Baltimore sind eine gerechtfertigte Antwort auf den Umgang des Polizeiapparates mit den schwarzen Arbeiter*innen. Die Gewalt gegen die Polizei, gegen Geschäfte und Autos wird bei weitem übertroffen von der Gewalt die tagtäglich von den Herrschenden gegen die Unterdrückten ausgeübt wird. In den USA wurde diese systematische Gewalt in den letzten Monaten durch die rassistische Mordserie der Polizei besonders offensichtlich. Sie mordeten Eric Garner in New York, Michael Brown in Ferguson und viele (unbewaffnete) schwarze Männer mehr – und wurden dafür öffentlich zur Verantwortung gezogen.

Die Verantwortung forderten aber nicht die liberalen Medien, die jetzt über die Gewalt der Protestierenden empört sind, und nicht die bürgerlichen Politiker*innen ein. Es waren die Nachbar*innen und Kolleg*innen der Opfer, es waren wütende Jugendliche und andere Teile besonders unterdrückter Gruppen die mit ihrem Protest auf der Straße verhinderten, dass die Morde in Vergessenheit geraten und mit dem Finger auf die Schuldigen zeigten.

Die Angriffe der amerikanischen Polizei sind Teil einer Entwicklung, in der sich die Widersprüche im Herzen der kapitalistischen Bestie immer weiter zuspitzen. In dieser Situation ändert sich auch, wie der kapitalistische Staatsapparat auftritt. Die Polizei bewegt sich mit den rassistischen Morden und der brutalen „Aufstandsbekämpfung“ weg von einer Exekutive eines demokratischen Systems der Gewaltentrennung. Stattdessen bestraft sie vermeintliche Straftäter*innen sofort und ohne Gerichtsverhandlung, vor allem wenn sie nicht weiß, heterosexuell und reich sind. Die bürgerliche Gewaltentrennung ist nur eine Farce deren Aufrechterhaltung den Arbeiter*innen und Jugendlichen trotzdem einige Vorteile bringt, aber Polizei, Geheimdienste und Justiz der demokratischen Kontrolle entzieht.

Das sich bietende „neue Bild“ kann aber als offeneres Auftreten der Polizei als Repressionsapparat gesehen werden. Die Aufgabe der Exekutive ist es nicht, Ermittlungen oder Hilfsleistungen für ein objektives Justizsystem zu leisten sondern die bestehenden Verhältnisse zu verteidigen und Widerstand zu unterdrücken. Das brutale Vorgehen richtet sich nicht zufällig und auch nicht nur aus rassistischer Tradition gegen besonders unterdrückte Teile der amerikanischen Gesellschaft. Es ist der Versuch, diejenigen unten zu halten, die die negativen Auswirkungen des kapitalistischen Systems heftig spüren und sich auch wehren können.

Der Slogan „No Justice, No Peace“ ist seit Jahren der Schlachtruf von Anti-Repressions-Bewegungen und auch in Baltimore und Ferguson hört man ihn fast jede Nacht. Er drückt sehr gut das Ultimatum aus, dass die Arbeiter*innen und Unterdrückten den Unterdrücker*innen stellen müssen: So lange wir keine Gerechtigkeit erfahren, werden wir keinen Frieden geben!

Am Ende des Tages wird das Anzünden von Autos oder das Plündern von Geschäften die bestehenden Verhältnisse nicht zum Umfallen bringen. Das schaffen wir nur wenn die Unterdrückten ihre einzelnen Kämpfe miteinander verbinden und ihre wirtschaftliche Macht (in Streiks) und ihre Überzahl (in Massendemonstrationen und Selbstverteidigung gegen staatliche Gewalt) gleichzeitig ausspielen. Aber die Kritik der bürgerlichen Medien und Politiker*innen an der Gewalt der Protestierenden ist eben trotzdem rückschrittlich und verlogen – und uns ist es lieber Fensterscheiben brechen als ein Genick im Polizeigewahrsam.