Ist Israel ein Apartheidstaat?

Auch im Sommer 2014 bombardiert die israelischen Armee IDF wieder den palästinensischen Gaza-Streifen und bereitet eine Bodenoffensive vor, nachdem sie in der ebenfalls palästinensischen Westbank mit Überfällen, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und mehreren Morden für Angst und Schrecken gesorgt hat. Die Todesopfer und Verletzten sind mehrheitlich Zivilist*innen, unter den angegriffenen Zielen sind Schulen des UN-Hilfswerk UNRWA, es handelt sich also weniger um Militäraktionen als um eine Terrorkampagne. Das israelische Vorgehen wird nur vorgeblich mit dem Mord an drei israelischen Jugendlichen oder dem Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen begründet. Er richtet sich ganz offensichtlich gegen das Bündnis der kleinbürgerlichen palästinensischen Organisationen Hamas und Fatah, das die israelische Regierung zerschlagen soll. Aber warum führt Israel seit seiner Gründung immer wieder Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung?

Der israelische Staat wurde nach den Plänen des jüdischen Journalisten Theodor Herzl eingerichtet, der Ende des 19. Jahrhunderts die Ideologie des Zionismus begründete und in seinem Buch „Der Judenstaat“ festschrieb. Er beobachtete den zunehmenden Antisemitismus, der sich in Pogromen und Hetze gegen Jüdinnen und Juden ausdrückte, und war der Überzeugung, dass das „jüdische Volk“ wie er es bezeichnet, einen eigenen Staat braucht. Diesen wollte er aufbauen, indem er eine einflussreiche „zionistische“ Bewegung zusammenfand und Machthaber_innen in Europa überzeugte, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. In seinen Büchern („Der Judenstaat“ und „Altneuland“) findet sich eine völkisch-rassistische Definition der Jüd*innen als Volk das sich nicht mit anderen vermischen kann. Auf ähnlichen Definitionen begründete sich später das in Israel vorherrschende Selbstverständnis.

Die Pläne Theodor Herzls wurden bis zu seinem Tod nicht ausgeführt, obwohl der von ihm organisierte „Erste Zionistische Weltkongress“ bereits Strukturen erschuf, die Land in Palästina zur Besiedlung kauften und Verhandlungen mit europäischen Herrscher*innen aufnahm. Der Durchbruch begann mit der britischen „Balfour-Erklärung“ 1917, in der Außenminister Lord Balfour festhielt, dass er die Errichtung eines jüdischen Nationalstaats in Palästina befürworte und dass das imperialistische England das Vorhaben nach besten Möglichkeiten unterstütze. Nur 10 % der Bewohner*innen von Palästina waren damals jüdischer Herkunft, aber das Gebiet stand unter englischer Herrschaft. Aber erst nach der industriellen Vernichtung der Jüd*innen Europas im Holocaust bzw der Shoah und die damit verbundene Fluchtbewegung aus Europa wurde 1948 tatsächlich ein Staat Israel gegründet. Auch wenn das Bedürfnis nach Schutz von vielen Jüd*innen durch die Erfahrung des Holocaust mehr als verständlich ist, bietet ein bürgerlicher Staat innerhalb eines kapitalistischen Systems nie Schutz vor Verfolgung und Antisemitismus und rechtfertigt nicht die Vertreibung und Unterdrückung von Palästinenser*innen. Nur ein gemeinsamer Widerstand der Arbeiter*innenklasse mit dem Ziel gegen jede Form des Rassismus und Antisemitismus überall anzukämpfen bietet hierfür eine sinnvolle Lösung an.

Während in Israel zu Anfang eine starke Arbeiter_innebewegung existierte, die für fortschrittliche Ziele kämpfte, führten die Zionist*innen als Herrscher*innen des Landes eine rassistische Kampagne gegen Palästinenser*innen durch, die aus Palästina vertrieben werden sollten. Dahinter stand ein grundlegender Rassismus, so schrieb z.B. der erste Präsident Israels: „Es gibt einen fundamentalen qualitativen Unterschieden zwischen Juden und Eingeborenen“

In der Kampagne, die unter Palästinenser*innen „Nakba“ („Katastrophe“) heißt wurden 700.000 Palästinenser*innen von ihrem Land vertrieben, militärische Angriffe auf Dörfer und Massenerschießungen durchgeführt. Derartige Kampagnen prägten das Leben der Palästinenser*innen und schon 1970 war ein Apartheidsgesellschaft errichtet. Das bedeutet, dass ein Großteil der Bevölkerung als Bürger*innen zweiter Klasse in einem Staat lebten, der sich sowohl als „Staat der Jüdinnen und Juden“ als auch als „jüdisch“ verstand (was sogar Theodor Herzls Vorstellung von einem Staat, in dem Religion und Regierung streng getrennt sind, widerspricht).

Der britische Journalist Ben White hat Eigenschaften eines Apartheidsregime, wie es in Südafrika zur Unterdrückung der Schwarzen geherrscht hat, genommen und mit der Situation in Palästina verglichen. Den Palästinenser*innen wurden zentrale Rechte, wie auf Leben oder persönliche Freiheit, genommen wenn es den Zielen des Staates diente, weil sie einer gewissen „ethnischen Gruppe“ angehören. Rechtliche Maßnahmen wurden getroffen, um die Einbindung von Palästinenser*innen ins politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben, zu verhindern, insbesondere wurde ihnen das Recht genommen ihr Land zu verlassen und wieder einzureisen, das Recht auf ihre eigene Nationalität und die Freiheit, sich in ihrem eigenen Land zu bewegen und niederzulassen. Weiters wurden Gesetze erlassen, die die Enteignung dieser „ethnischen Gruppe“ legalisierten und vorantreiben (wie durch die Siedlungen auf palästinensischem Boden), und Gesetze beschlossen die die Bevölkerung anhand ihrer Herkunft in „Ghettos“ trennt (wie durch die Mauer um den Gaza-Streifen oder die Zäune und Militär-Checkpoints in der Westbank).

Israel ist also ein Apartheidsregime, in dem ein Teil der Bevölkerung durch einen riesigen Militär- und Polizeiapparat, durch Bombenterror und politischen Verhaftungswellen aufgrund der „ethnischen Herkunft“ als arabische Palästinenser*innen unterdrückt wird. Die Maßnahmen zur Unterdrückung erinnern stark an die Apartheid in Südafrika: Die Palästinenser*innen werden von ihrem Land vertrieben, im Gaza-Streifen und der Westbank eingesperrt, mit Mauern und Zäunen umgeben, ihre Bewegungsfreiheit auf unfruchtbare, arme Gebiete eingeschränkt und ihre Arbeitskraft ausgebeutet.

Aber es gibt auch wichtige Unterschiede zu der Situation in Südafrika, die entscheidend sind für die Vorgehensweise mit der die Unterdrückung beseitigt, die Unterdrücker*innen gestürzt werden können. In Südafrika war die Arbeiter*innenklasse fast ausschließlich schwarz, sie stellte also nicht nur die Mehrheit der Gesellschaft sondern hielt auch die wirtschaftliche Macht in den Händen. In Palästina aber werden durch die rassistische gesellschaftliche Auftrennung der Arbeiter*innen die meisten wirtschaftlich wichtigen Berufe von weißen, jüdischen Israelis ausgeübt. Die Palästinenser*innen müssen zwar die schlechtesten Arbeiten übernehmen und werden dafür auch schlechter bezahlt, aber sie könnten nicht durch einen Streik alleine das Land lahmlegen. Deshalb ist es so wichtig, dass sich der palästinensische Widerstand mit der israelischen Arbeiter*innenbewegung vereinigt, wenn das Regime in Israel (und auch die Herrschaft der Kapitalist*innen in Palästina) beseitigt werden soll. Gerade in Konflikten wo sich Rassismen und Diskriminierung so verhärtet haben ist es wichtig und notwendig diese durch den gemeinsamen Klassenkampf zu überwinden. Gemeinsam können sie einen sozialistischen, nicht-religiösen Staat der Palästinenser*innen und Israelis aufbauen. Das Bewusstsein der israelischen Arbeiter*innenklasse ist aber stark von der rassistischen Propaganda und von den Privilegien als „Unterdrücker*innen“ geprägt. Aber es gibt eine relevante „Pro-Gaza“-Bewegung, und es gibt immer wieder Mobilisierungen gegen die israelische Regierung wie in der „Hüttenkäse-Bewegung“ 2011.

Der Grund dass diese nicht zum Erfolg führten war weniger, dass sie so klein und unbedeutend sind sondern weil der israelische Staat mit Polizeigewalt, Militär und Geheimdienst-Überwachung gegen sie vorgegangen ist. Tatsächlich belügt man sich selbst, wenn man glaubt, der israelische Staat könnte nur über friedlichen Protest oder wirtschaftliche Streikbewegungen gestürzt werden. Wie in jedem anderen kapitalistischen Staat werden sich die Unterdrücker*innen mit Zähnen und Klauen gegen eine Befreiung des Landes wehren – und es steht ihnen ein riesiger Militär- und Sicherheitsapparat zur Verfügung. Der Widerstand muss sich selbst organisieren, aber auch bewaffnet gegen die Unterdrückung vorgehen, sonst wird er selbst zerschlagen werden. Das Apartheidssystem in Israel kann also nur gemeinsam (von Palästinenser*innen und der israelischen Arbeiter*innenbewegung) und im bewaffneten Kampf gestürzt werden.

Andere Vorgehensweisen, wie die Vertreibung von israelischen Arbeiter*innen durch die Palästinenser*innen, oder auch einen revolutionären Krieg von syrischen Oppositionsarmeen gegen den Staat Israel orientieren sich nicht am gemeinsamen Widerstand der Bevölkerung Israels und Palästinas. Stattdessen geben sie diesen entweder zugunsten eines Opportunismus gegenüber reaktionären und rassistischen Tendenzen im Widerstand aus oder streben einen rein militärischen Sieg an. Schon in der russischen Revolution mussten Marxist*innen erkennen, dass so keine befreite Gesellschaft errichtet werden kann, sondern vielmehr Unterdrückung, aber auch Widerstand gegen eine „fortschrittliche“ Besetzung verfestigt wird. Diesen Grundsatz, den die Revolutionäre Marx, Lenin und Trotzki in konkreten Situationen immer wieder anwandten, nämlich dass eine Nation, die eine andere unterdrückt, ihre eigenen Fesseln nie abwerfen kann, gilt auch im 21. Jahrhundert noch.

Wir von REVOLUTION glauben, dass ein Ende der israelischen Apartheidspolitik nur im gemeinsamen Kampf erreicht werden kann. Der organisierte Widerstand der Palästinenser*innen kann, wenn er mit relevanten Teilen der israelischen Arbeiter*innenbewegung zusammenarbeitet, den Apartheidsstaat Israel zerschlagen und an seine Stelle einen gemeinsamen, säkularen und sozialistischen Staat setzen, der sich mit Befreiungsbewegungen im ganzen Nahen Osten vereinigen kann. Dieser Widerstand wird sich in letzter Konsequent auch gegen die kleinbürgerlich-anpasslerische Fatah und die reaktionär-islamistische Hamas richten, deren militärischen Widerstand gegen Israel wir zwar verteidigen (solange er sich nicht gegen Zivilist*innen richtet), deren Politik wir aber scharf angreifen.

Für ein freies und rotes Palästina!