Neutralität gegen den Krieg?

Nach der Entscheidung von Finnland und Schweden dem Militärbündnis NATO beitreten zu wollen, sieht man die Frage vom „neutralen“ Österreich mittlerweile mit anderen Augen. Es gibt eine mediale Kampagne, die seit der russischen Invasion nicht wirklich abebbt, in der die österreichische Neutralität ständig hinterfragt wird. Mit der fortschreitenden Blockbildung im kalten Krieg zwischen USA und China, fühlen sich immer mehr Länder bemüßigt in Vorbereitung darauf ihre Neutralität aufzugeben und zu relativieren. Dies sieht man jetzt ganz konkret an Finnland und Schweden, allerdings haben auch andere imperialistische Länder (Japan z.B.) historisch langanhaltende Neutralitäts- und Pazifismus-Bekundungen aufgegeben oder relativiert. Was für eine Position sollten linke Kräfte in so einer Situation einnehmen? Was ist eine antiimperialistische Antwort auf eine Situation wie diese, die ein Zeitalter der zugespitzten (militärischen) Konflikte zwischen den Supermächten einläutet?

Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen wir uns erstmal beantworten was die „Neutralität“ von Ländern überhaupt heißt.

Die Neutralität eines Landes beschreibt grundsätzlich ein unparteiisches Verhalten bei Konflikten anderer Länder. Das kann auf unterschiedliche Arten juristisch oder ideologisch verstanden und umgesetzt werden: Die Neutralität eines Landes kann situationsbezogen oder immerwährend sein, sowie auf militärischer, ökonomischer und/oder politischer Unabhängigkeit oder Abschottung beruhen. Der Fall der österreichischen Neutralität ist nicht nur juristisch, sondern auch im Bezug auf bürgerlich moralische Konnotationen des Begriffs über kriegerischen Auseinandersetzungen kompliziert.

Für die Sowjetunion war die an die Schweiz angelehnte „immerwährende“ Neutralität Österreichs die Bedingung für die Unterzeichnung des Staatsvertrags, damit also die Bedingung für die österreichische Souveränität. Konkret verbietet das am 26. Oktober 1955 beschlossene Neutralitätsgesetz einen Beitritt zu militärischen Bündnissen und die Errichtung fremder militärischer Stützpunkte auf österreichischem Gebiet. Österreich muss außerdem die Neutralität nach außen „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen“. Die Neutralität soll dem „Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen“ dienen.

Es ist wichtig dieses Gesetz im Kontext seiner Entstehung am des Endes des Zweiten Weltkriegs und Kalten Krieges zu verstehen, da die geografische Lage Österreichs und die geteilte Besatzung nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, die militärische Neutralität Österreichs zu einer sowohl politischen, als auch ökonomischen Frage machte. ÖVP und SPÖ waren sich aufgrund der mit dem Westen geteilten kapitalistischen Interessen bei der Ausrichtung auf diesen einig. Die explizit ausschließliche militärische Bündnisfreiheit unter dem Namen der Neutralität sicherte also von Anfang an kein ökonomisch oder politisch neutrales Handeln. Bereits im Jahr 1955 trat Österreich der UNO bei, die damit einhergehenden regelmäßigen Auslandseinsätze im Namen der Friedenserhaltung, sowie die Kooperation mit der NATO im Rahmen des PfP (partnership for peace) ab 1995 sind wohl auch fragwürdig im Bezug auf das Verbot militärischer Bündnisse.

Den größten Bruch mit dem Vorsatz der militärischen Neutralität stellte für Österreich jedoch der Beitritt zur EU dar. Abgesehen davon, dass sich Österreich damit den nicht besonders neutralen imperialistischen Interessen kapitalistischer Großmächte wie Deutschland und Frankreich verpflichtet, wirft der Beitritt auch im Bezug auf die Unabhängigkeit von militärischen Bündnissen große Widersprüche auf. Der Beitrittsvertrag sichert nämlich mittels einer „gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik“ die Beteiligung Österreichs bei folgenden Aktivitäten: „Einleitung einer Mission außerhalb der Europäischen Union, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens oder Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten.“ EU und NATO legten im Jahr 2003 vertraglich eine strategische Zusammenarbeit fest, der 2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon verpflichtet zudem EU-Mitgliedsstaaten bei einem Angriff auf ein EU-Land die Verteidigung dieses Landes zu unterstützen.

Innerhalb der EU gibt es auch einige Stimme, die sich für eine EU Armee stark machen. Speziell Frankreich, trieb dieses Projekt in den letzten Jahren voran. Durch die zunehmenden Widersprüche im europäischen Block wird das nicht in nächster Zeit auf der Tagesordnung stehen, wirft aber die Frage auf, wie neutral Österreich, militärisch gesehen, in so einer Situation dann noch wäre. Auch andere EU finanzierte Projekte wie Frontex, die mit dem europäischen Grenzschutz beauftragte Organisation, zeigen deutlich wie weit Österreich von einer potenziellen kriegerischen Beteiligung wären, wenn es die Weltlage erfordern würde. Frontex mordet seit Jahren an den Grenzen und vertritt eine zutiefst rassistische Idee und militärische Umsetzung der „europäischen Werte“.

Die österreichische Neutralität ist also nichts weiter als eine Farce. Eine vorgeschobene Argumentation, die rein gar nichts bedeutet, wenn sie den momentanen Interessen der herrschenden Klasse in Österreich widerspricht. Das hat man besonders gut mit dem EU Beitritt gesehen, der viele Punkte der Neutralität offensichtlich obsolet gemacht hat. Trotzdem wird dieser „große Teil der österreichischen Identität“ weiter verherrlicht. Wir können uns auf so eine Neutralität nicht verlassen. Das ist ein Vertrauensvorschuss an den bürgerlichen Staat, der in einer möglichen imperialistischen Auseinandersetzung dieses Vertrauen wirklich nicht verdient. Genauso wenig, wie wir das Geschwafel vom Pazifismus vonseiten der herrschenden Klasse ernst nehmen können, können wir ernst nehmen, dass sie in irgendeiner Form neutral in Konflikten auftreten werden.

Aber! Wir stellen uns natürlich trotzdem entschieden gegen eine offizielle Involvierung von Österreich in imperialistischen Konflikten. Wir stehen gegen einen NATO-Beitritt, gegen eine offizielle Solidarisierung mit imperialistischen Aggressoren und einer Beteiligung an ihren Bündnissen und Kämpfen. Wie wir an Schweden und Finnland sehen können, schützen unsere jahrelangen Neutralitätsbekundungen uns nicht vor ähnlichen Entwicklungen. Zwar bewegen sich beide Länder schon länger von der rechtlichen Neutralität weg, aber selbst die ist nicht besonders klar definiert und in Situationen in denen sich Ereignisse überschlagen und der internationale Druck stärker wird, kann sich auch die österreichische Neutralität im Schnelldurchgang auflösen. Es liegt an uns eine antimilitaristische und antiimperialistische Bewegung aufzubauen, die Druck ausübt und die sich weigert dem Schrei nach der Aufgabe der Neutralität nachzugeben. Das hat nichts damit zu tun, dass dieses bürgerliche Konstrukt der Neutralität uns schützt, sondern damit, dass wir alle Angriffe zurückschlagen müssen, die Österreich noch stärker aufrüsten und in diese imperialistischen Konflikte eintreten lassen würde. Österreich ist ein imperialistisches Land, das meistens im Schatten von Deutschland und anderen größeren Weltmächten steht. Aber was wir, als Revolutionär*innen vor Ort tun können und müssen ist trotzdem wichtig für die praktische internationale Solidarität, für die Menschen vor Ort und für all jene, die Aufgrund der momentanen Situation auf der Suche nach sicheren Aufenthaltsorten sind.

Wenn die Neutralität Österreichs von rechts angegriffen wird, dann verteidigen wir sie. Nicht weil wir glauben, dass sie ein politisches oder moralisches Gut ist, sondern weil wir gegen den Angriff von rechts sind. Zeitgleich kämpfen wir für ein Österreich das nicht neutral ist, wenn es um die Kämpfe der Unterdrückten geht, das nicht neutral ist, wenn es um bessere Arbeitsbedingungen, Vermögenssteuern und eine klimagerechte Verkehrswende geht. Aber diese Form von Klassenpolitik kann nur zum Teil durch bürgerlichen Staat erkämpft werden, dafür ist dieses Instrument zur Klassenbefriedung nicht gemacht. Wir müssen alle Forderungen die wir an ihn stellen mit einer revolutionären klassenkämpferischen Politik verbinden, sonst verlieren unsere Ziele an Form und Inhalt.

Wir verteidigen die Neutralität Österreichs wo sie zugunsten von imperialistischen Kräften angegriffen wird, haben aber keine Illusionen in sie. Neutralität bedeutet nicht gleich Frieden. Die bürgerliche Neutralität bedeutet, dass man sich aus militärischen Konflikten raushält, während man weiterhin alle Seiten ökonomisch ausbeutet und unterdrückt. Waffengeschäfte und Geschäftemacherei ist für manche imperialistische Staaten profitabler, als an den Kriegen selbst mit zu machen. Und obwohl man sich nicht direkt beteiligt, bezieht auch Österreich Stellung zugunsten seiner Profitinteressen, „Neutralität“ ist also immer eine Lüge.

In Konflikten kann man und darf man nie neutral sein, sondern immer die Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten einnehmen. Deshalb kann Neutralität nie die Position einer revolutionären Partei oder Bewegung sein! Die zugrundeliegende pazifistische Ideologie lehnen wir ab, denn es handelt sich um eine Ideologie der Herrschenden. Gewaltlosigkeit als abstrakte, moralische Kategorie aufzustellen, während Tag für Tag systematisch Gewalt ausgeübt wird, die einfach wegrationalisiert wird, ist reine Klassenpolitik und zum Schutz der eigenen Macht.

Wir verteidigen die Neutralität in Österreich nur als Mittel zum Zweck, denn wir wissen ohne sie, würde sich Österreich noch stärker im westlichen Block einbauen und imperialistische Konflikte noch mehr verstärken. Aber auch mit der Neutralität passiert das. Österreich ist auch jetzt ein imperialistisches Land. Die Neutralität kann darüber nicht hinwegtäuschen.

Wir müssen eine starke Antikriegsbewegung aufbauen, die sich nicht von bürgerlich, moralischen Modellen wie Pazifismus und Neutralität dominieren lässt.


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