Positionspapier Ukraine-Krieg
Der Krieg in der Ukraine ist keine kleine Episode, sondern ein zentrales – wenn nicht das zentrale – Moment der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen. Er ist kein regional isoliertes Phänomen, sondern hat unmittelbare globale Auswirkungen und Akteur*innen. Er markiert einen radikalen Einschnitt in der europäischen und globalen Politik, Ökonomie und Ideologie. Zum ersten Mal seit den 90er Jahren findet unmittelbar an den Grenzen der EU eine große kriegerische Auseinandersetzung statt. Wir wollen deshalb an dieser Stelle thesenhaft unsere Position skizzieren.1. Der russische Angriffskrieg ist klar und eindeutig als imperialistisch zu kennzeichnen. Der russische Imperialismus möchte seine unmittelbare Einflusssphäre ausdehnen. Putin kleidet das in das ideologische Gewand, dass die Ukraine einfach nur eine Schöpfung Lenins und der bolschewistischen Politik des Rechts auf nationale Selbstbestimmung gewesen sei. Er spricht ihr ab eine eigenständige Nation zu sein. Darüber hinaus wird von Seiten der russischen Führung davon gesprochen die Ukraine entnazifizieren zu wollen – ganz abgesehen davon, dass auch in Russland sowie insbesondere in den von Russland eingesetzten Kräften wichtige faschistische Kräfte mitwirken – ist die These, dass die Ukraine von Nazis geführt würde offenkundig dazu da um die eigene Bevölkerung ideologisch für den Kampf zu gewinnen. Wir lehnen den Angriff der russischen Armee entschieden ab, wir fordern den sofortigen Ab- und Rückzug der russischen Streitkräfte.
1.1 In den unmittelbaren Wochen nach dem 24. Februar gab es in Russland beachtliche Straßenproteste gegen den russischen Angriffskrieg. Viele tausende gingen in fast allen Teilen Russlands auf die Straßen. Die Proteste trotzten auch kurzfristig der massiven Repression von Seiten des russischen Staates. Im Zuge des russischen Angriffskriegs macht der russische Staat eine weitere autoritäre Wende durch, beispielsweise wurde Anfang März ein Gesetz erlassen, dass „Lügen“ und negative Äußerungen über die russische Armee mit massiven Gefängnisstrafen belegt. Unsere Solidarität geht an die russische Anti-Kriegsbewegung und all ihren politischen Gefangenen.
1.3 Seit der anfänglichen Welle an offenem Straßenproteste hat sich der Widerstand nun vor allem in den Untergrund verlagert, heroische Aktivist*innen versuchen die russische Kriegslogistik (vor allem Eisenbahnlinien, Brücken, etc.) zu sabotieren. Das wirkliche Ausmaß dieser Aktivitäten ist schwer abzuschätzen, es dürfte sich aber um mehr als einzelne, isolierte Aktivitäten handeln. Ähnlich der russischen Anti-Kriegsbewegung agiert auch die Oppositionsbewegung in, mit dem Russland verbündeten, Weißrussland. Hier haben die Aktivitäten der unabhängigen Gewerkschaften – insbesondere der Eisenbahner*innen – ein solches Ausmaß erreicht, dass der weißrussische Staat die Repression gegen sie deutlich verschärfte. Im Juli wurde der Großteil der noch bestehenden unabhängigen Gewerkschaftsbewegung verboten. Aktuell droht außerdem elf weißrussischen Eisenbahnern und Gewerkschaftern – mit dem Vorwurf des Terrorismus – bis zu 20 Jahren Haft. Wir fordern ihre sofortige Freilassung und die aller politischer Gefangener in Weißrussland.
2. Die ukrainische Bevölkerung ist die hauptsächliche Leidtragende der russischen Invasion. Millionen Menschen sind – vor allem in die EU – geflohen. Im Gegensatz zu Flüchtlingen aus Afrika oder Asien, die tagtäglich systematische und zutiefst rassistische Unterdrückung erfahren, ist die EU hierbei solidarisch, öffnet die Grenzen, gewährt Aufenthaltsrecht und viele andere Erleichterungen für die Menschen aus der Ukraine. Grund hierfür ist nicht ihr neu entdecktes soziale Gewissen oder eine plötzliche antirassistische Eingebung, sondern die Tatsache, dass die ukrainischen Geflüchteten politisch gegen den geopolitischen Feind – Russland – ins Feld geführt werden können. Statt der Aufteilung in legitime (ukrainische) und illegitime Flüchtlinge (alle anderen) braucht es offenen Grenzen und sicheren Fluchtrouten sowie gleiche politische Rechte für alle Geflüchtete, egal ob aus der Ukraine, Afghanistan, Syrien, Somalia, dem Jemen oder jedem anderen Teil der Welt.
2.1 Der ukrainischen Regierung unter Wolodymyr Selenskyj kommt in der aktuellen Situation keine fortschrittliche Rolle zu. Sie ist die westlich gebilligte Verteidigerin der imperialistischen Interessen der USA und EU. Sie hat zwar noch etwas mehr an demokratischen Rechten zu bieten als der, in nahezu offener Diktatur übergegangene, russische Staat, aber diese dehnen sich fast ausschließlich auf treue Verteidiger*innen des Vaterlandes aus. Schon seit 2014 wurden relevante Teile der politischen Opposition juristisch bekämpft und oppositionelle Medien verboten. Faschistische Banden, die später in die ukrainischen Streitkräfte und deren Anführer*innen teilweise sogar in den Staatsapparat integriert wurden, konnten unbehelligt Terror gegen Linke ausüben. In der aktuellen Kriegssituation wurde die Repression gegen die Opposition noch einmal auf die Spitze getrieben, eine Reihe von Parteien wurde verboten, darunter erst kürzlich auch die schon lange von Wahlen ausgeschlossene Kommunistische Partei der Ukraine. Darüber hinaus wurde in einem neuen Arbeitsgesetz massive Verschlechterungen für die Arbeiter*innenklasse (Ausweitung der Wochenarbeitszeit, Aushebelung der Kollektivverträge durch die Unternehmen, etc.) durchgesetzt.
2.2 Aktuell gibt es in der Ukraine keine vom Staat unabhängige agierende Linke, die sich dem russischen Angriff entgegenstellt. Zumindest keine, die so weit offen agieren kann, dass ihre Aktivitäten aus dem Ausland ersichtlich sind. Die linken Einheiten, die militärisch agieren beteiligen sich an den Territorialen Verteidigungseinheiten, die Teil der ukrainischen Streitkräfte sind und damit der Befehlskette der Regierung Selenskyj unterstehen. Die einzigen uns bekannten mehr oder minder unabhängig agierenden militärischen Einheiten sind offen faschistische Kräfte, wie das aus ehemaligen Azov-Veteran*innen zusammengesetzte Kraken-Regiment.
2.3 Während wir das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verteidigen und den Rückzug der russischen Armee fordern, dehnt sich diese Forderung bei uns ebenfalls auf die östlichen Gebiete der Ukraine aus. Fast alle Umfragen nach 2014 zeigten, dass eine Mehrheit der Menschen in den Oblasten Lugansk und Donezk eine Änderung des Status quo ihrer Gebiete wollte (der größere Teil davon wollte Autonomie innerhalb der Ukraine oder den Anschluss an Russland). Der aktuelle Konflikt legt nahe, dass sich die Situation geändert haben dürfte mit einer klareren Spaltung in einen Teil der bei der Ukraine ohne Autonomie verbleiben möchte und einen Teil der den Anschluss an Russland wünscht. Wir fordern auch hier den Abzug aller ukrainischer Truppen und die Durchführung eines Referendums über die Zukunft der Region ohne die Einmischung von russischen Truppen oder Einheiten der Kiever Regierung.
3. Wir verstehen den Krieg in der Ukraine in erster Linie als Teil einer innerimperialistischen Konfrontation zwischen Russland und der in den westlichen imperialistischen Block integrierten Ukraine. Für uns gibt es in dieser innerimperialistischen Auseinandersetzung keine fortschrittliche Seite. Das bedeutet aber nicht, dass wir der russischen Invasion neutral gegenüberstehen. Was es braucht ist eine unabhängige Antwort – unabhängig vom westlichen wie vom russischen Imperialismus – der Arbeiter*innenklasse und Linken gegen die russische Invasion, wir wollen mit allen Kräften zusammenarbeiten, die dieses Ziel teilen.
3.1 Wir lehnen die westliche Beteiligung am Krieg in der Ukraine ab, dient sie doch in erster Linie dabei den geopolitischen Gegner zu schwächen – politisch, ökonomisch und militärisch. Wir lehnen den Wirtschaftskrieg bzw. die Wirtschaftssanktionen gegen Russland ab. Er trifft nicht nur in erster Linie die große Mehrheit der russischen Zivilbevölkerung und Arbeiter*innenklasse die – unabhängig davon ob sie den Krieg unterstützt oder nicht – einen massiven Einbruch ihres Lebensstandards befürchten müssen, bzw. schon erlebt haben (vor allem durch die massive Verteuerung von Konsumgütern). Die Wirtschaftssanktionen haben darüber hinaus auch noch eine systemstabilisierende Wirkung, geben sie doch dem Putin-Regime einen ausländischen Sündenbock für die Probleme der einfachen russischen Bevölkerung. Eine Ablehnung des russischen Krieges gegen die Ukraine darf nicht bedeuteten die geopolitischen Interessen und Methoden der eigenen imperialistischen Regierungen mitzutragen!
3.2 Die imperialistischen Interessen des Westens drücken sich neben dem Wirtschaftskrieg gegen Russland vor allem in einer massiven Hochrüstung der ukrainischen Armee aus. Das Ausmaß dessen hat nie dagewesene Ausmaße erreicht und aktuell wohl eine zweistellige Milliardenzahl erreicht – viele weitere Milliarden sind versprochen. Dabei geht es dem Westen nicht darum „die Demokratie“ zu verteidigen, sondern in erster Linie darum den geopolitischen Gegner zu schwächen – sonst hätte es von den Politiker*innen in der EU oder den USA wohl auch Kritik an den undemokratische Maßnahmen der ukrainischen Regierung gegeben.
4. Die österreichische Bourgeoisie und ihre Regierung hat sich – trotz früherer teils recht enger Verstrickungen der österreichischen Wirtschaft mit der russischen – einhellig in die westliche Front eingereiht. Es wird zwar kein militärisches Material an die Ukraine geliefert aber darüber hinaus beteiligt sich Österreich bereitwillig an allen anderen Aktionen der europäischen Regierung, insbesondere den Wirtschaftssanktionen gegen Russland.
4.1 Darüber hinaus möchte die österreichische Regierung – ähnlich wie fast alle europäischen Länder – die Situation dafür nutzen um ein massives Rüstungsprogramm durchzuführen. Verteidigungsministerin Tanner möchte 10 Milliarden Euro für einen Neutralitätsfond (nach dem Vorbild Deutschlands mit seinem 100-Milliarden-Rüstungspaket) und eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf 1,5 % des BIP – höher als zum Höhepunkt des Kalten Kriegs. Wir lehnen den österreichischen wie den europäischen Drang hin zur massiven Aufrüstung entschieden ab, jahrelang wurde uns erzählt für Umweltmaßnahmen oder Soziales sei kein Geld da, doch wenn es ums Kriegsführen geht, sprudelt das Geld nur so aus allen Quellen.
4.2 Der Hauptfeind ist und bleibt für uns Revolution Österreich das österreichische Kapital und seine Regierung. Das Gespenst der Bedrohung der EU durch Russland dient dem österreichischen wie dem europäischen Kapital dazu seine eigenen Armeen massiv aufzurüsten. Darüber hinaus ist es mehr als praktisch darin die eigene Bevölkerung auf Linie mit dem Konfrontationskurs mit Russland (und morgen mit China) zu bringen. Wir halten nichts von der vorgespielten Konfrontation von „Demokratie vs. Autoritarismus“ der nichts anderes als eine ideologische Maske für die imperialistische Blockkonfrontation des Westens mit Russland und China darstellt. Nirgendwo sieht man das so gut wie darin, wer Teil des westlichen Blocks ist, wie beispielsweise die Türkei, die in kurdischen Gebieten in Syrien genauso das dem Westen angeblich so heilige Völkerrecht verletzt wie Russland in der Ukraine.
4.3 Wir glauben auch, dass der Jugend im Kampf gegen Krieg und Kapital eine besondere Rolle zukommt. Junge Menschen sind die ersten die eingezogen werden und ihr Leben für Kriege lassen müssen, die nicht ihren Interessen dienen. Das sieht man zum Beispiel auch an Generalmobilmachungen und Ausreiseverbote bis zu einem gewissen Alter, wie es in der Ukraine und Russland passiert bzw. angedroht ist. Auch in anderen Ländern sind junge Menschen diejenigen, die als erstes militärisch eingesetzt werden. Junge Menschen sind deshalb auch diejenigen, die sich über den Zynismus der Regierungen hinwegsetzen müssen, revolutionäre Arbeit im Militär in der Ukraine und Russland machen und in den imperialistischen Ländern eine Antikriegsbewegung mit aufbauen müssen. Weil niemand außer sie selbst für ihre Zukunft kämpft.
4.4 Unserer Meinung nach ist der Ukraine Krieg gleichzeitig Ausdruck und Beschleuniger der Zuspitzung der globalen imperialistischen Widersprüche. Er ist ein massiver Brandbeschleuniger für Militarisierung im Westen, der Zuspitzung ideologischer Widersprüche (westlicher Demokratie vs. russischer/chinesischer Autoritarismus) und seine wirtschaftlichen Auswirkungen fördern eine globale Entkopplung der globalisierten Produktionsketten. Es braucht eine internationale Anti-militaristische und Anti-Kriegsbewegung, die unabhängig von der „eigenen“ herrschenden Klasse und ihrer Regierung, eine Position der internationalen Solidarität und des globalen Anti-Kapitalismus formuliert und versucht über die Grenzen von Ländern hinweg sich zu organisieren. Kurzfristige „realistische“ Lösungen stärken auf Dauer nur die herrschenden und ihr System – lasst es uns gemeinsam und international stürzen!