Proteste in Bosnien – Sloboda je nasa nacija!

Im Feburar 2014 reisten REVOLUTION-Genoss*innen nach Bosnien und nahmen an den Protesten der Arbeiter*innen und Jugendlichen teil.

Im Februar gingen nicht nur die Regierungsgebäude in Bosnien in Flammen auf, sondern auch die Herzen derer die sie angezündet hatten. Die Schließung von 5 großen Unternehmen (Dita, Polichem, Poliolchem, Gumara und Konjuh) in Tuzla und der dadurch verursachte Abbau von 10.000 Arbeitsplätzen brachten für die Arbeiter*innen in Bosnien das Faß zum überlaufen. Somit stieg eine Bewegung aus der Asche auf die sich nicht nur gegen Privatisierungen, Elend, Korruption sondern auch gegen Nationalismus und die Regierungen und Politiker*innen die sich in den letzten Jahrzenten an dem Elend und der Armut der Arbeiter*innenklasse in Bosnien bereichert haben.

Frühling in Bosnien! Proljece u Bosni!

Die Proteste begannen am 4. Febrar in Tuzla, einer der größten Industriestädte Bosniens, als Gewerkschaften und Arbeiter*innen gegen die Schließungen großer Unternehmen auf die Straße gingen und ihre Arbeitsplätze, Löhne und Pensionen einforderten. Dabei wollten die herrschenden Eliten doch eh nur ihr gewohntes Spiel durchziehen: Betriebe privatisieren, sie am Markt verprassen, die Maschinen und das Inventar verkaufen, das Geld in die eigene Tasche stecken, in Insolvenz gehen und die Belegschaft auf die Straße setzen. Für die Arbeiter*innen und Jugendlichen in Bosnien war das Maß jedoch voll. Bei einer Arbeitslosigkeit von 47%, einer Jugendarbeitslosigkeit über 50%, einem Durchschnittseinkommen von 420 Euro und keiner Aussicht auf Jobs und geschweige denn einem anständigen Leben war es nur eine Frage der Zeit bis das Pulverfaß in die Luft gehen würde. Und dies passierte in den Tagen die auf den 4. Februar folgten, die Proteste radikalisierten sich und griffen auf andere Städte um (Sarajevo, Mostar, Bihac, Zenica…). Arbeiter*innen und Jugendliche hatten genug und richteten ihren Hass und ihre Wut gegen jene die ihr Elend verursacht hatten: die Regierung, die Kapitalist*innen und korrupten Politiker*innen. Kein Wunder daher, dass bald Rauch und Ruß aus den Regierungsgebäuden der Kantone aufsteigen würde. Die Gewalt von Seiten der Polizei gegenüber den Demonstrant*innen hatte die Bewegung nochmehr wachsen lassen, nicht nur die Demonstrant*innen giffen nun die Polizei an auch Menschen in Wohnhäusern schmissen aus ihren Fenstern Gegenstände auf die Polizei. Somit gingen am 6.2 über 6.000 Menschen und am 7.2. schon einige 10.000 Arbeiter*innen und Jugendliche in über 20 Städten auf die Straßen und verlangten nach der Auszahlung ihrer Löhne, der Rücknahme ihrer Entlassungen und den Rücktritten der Regierung. Die Politik der letzten Jahrzehnte hatte Wind gesät und durfte nun Sturm ernten: es wurden Regierungsgebäude angezündet, der Bürgermeister von Brcko kurzzeitig gefangengenommen, Straßen blockiert, Gefangene befreit…Die Arbeiter*innen zeigten ihre Kraft und Entschlossenheit und zwangen somit die Kanton-Regierungen zum Rücktritt: Sead Causevic (Premier Minister Tuzla), Suad Zeljkovic (Premier Minister Sarajevo), Hamdija Lipovaca (Premier Una-Sana), Regierung in Zenica und viele mehr traten nacheinander zurück. Friedliche Proteste hatten die herrschenden Eliten ignoriert, die radikaleren Aufstände hatten der Bewegung Gehör verschaffen. Nach dem 7.2 gingen die Proteste jedoch wieder einen bewusst friedlicheren Weg.

Durch den Krieg getrennt und durch Hunger vereint! Razdvojeni kroz rat i ujedinjeni kroz glad!

Wirtschaftlich ist die Lage in Bosnien schon seit Jahrzenten mehr als ungut. Traditionell war es ein Land mit einem starken Industriesektor und einer relativ starken Produktion welches in Jugoslawien vor allem eine starke Waffenindustrie hatte aber auch einen relativ großen Export an Lebensmitteln organisierte. Die Betriebe waren damals noch in staatlicher Hand, obwohl schon vor dem Krieg Privatisierungen geplant waren. Der blutige nationalistische Krieg ausgehend von Seiten serbischer Nationalist*innen und Milosevic und angetrieben durch imperialistische Großmächte, hatte hunderttausende Tote, ethnische Säuberungen, Genozid, die Zerstörung der Wirtschaft und die Teilung Bosniens auf ethnischer Linie in Teilrepubliken und unzählige Kantons und den Aufbau eines enormen bürokratischen Verwaltungsapparats, aufgesetzt durch das Dayton Abkommen von Seiten der EU und USA, zur Folge. Von da an waren die Ausreden für die wirtschaftliche Misere immer nationalistische Angstmache oder der Krieg. Die EU und USA hatten mit dem Dayton Abkommen nicht nur die Trennung Bosniens auf ethnischen Linien verfestigt und vorangetrieben und einen aufgeblähten Bürokratischen Apparat mir 10 Kantons, ihren Regierungen und eigenen Polizeikräften und Verwaltungsbehörden und 3 Teilrepubliken installiert, die sich in der Föderation gegenseitig blockieren können, sondern brachten mit dem Einsetzen eines „Hohen Repräsentanten“ (momentan hält der Österreicher Valentin Intzko dieses Amt inne) Bosnien unter die Kontrolle von den Machtinteressen der EU und USA. Der hohe Repräsentant hat in Bosnien die Rechte der Regierung Gesetze und Auflagen aufzuerlegen. Seine Reaktion zu den Protesten war auch mehr als deutlich: Wenn die bosnische Regierung die Situation nicht unter Kontrolle bringen kann, dann werden noch mehr Truppen nach Bosnien geschickt. Es wurden schon Truppenverstärkungen angefordert. Somit wurde Bosnien nach dem Krieg zu einer Kolonie der EU, die von der Misere der Arbeiter*innen profitiert und sie als billige Arbeitskräfte nützt und andererseits durch Investitionen in Bosnien vor allem im Bankensektor profitiert. Hier hat vor allem der österreichische Imperialismus Geld geschaufelt, Österreich ist der bei weitem größte Investor in Bosnien und wer durch die Straßen Sarajevos spaziert hat es schwer dies zu übersehen.

Smrt Nacionalizmu! Tod dem Nationalismus!

Eine der wunderbarsten Eigenschaften der Proteste ist ihr starker Klassencharakter der den jahrelangen Nationalismus in der Region in den Hintergrund drängt und sich dezidiert irgendeine Spaltung auf nationalistischer oder ethnischer Linie entschlossen ablehnt. Noch beeindruckender ist es, dass dies in einem Land geschieht wo der Jugoslawienkrieg am blutigsten geführt wurde und enorme Kriegsverbrechten wie der Genozid in Srebrenica begangen wurden und seit dem Nationalismus dort wie überall am Balkan sehr vorherrschend war. Die Proteste haben alle Versuche von Nationalist*innen eingenommen zu werden abgelehnt. Das alte Muster der herrschenden nationalistischen Parteien zieht nicht mehr, denn die Menschen haben erkannt, dass nicht ihre Nachbar*innen mit den gleichen leeren Mägen ihre Feinde sind, sondern die herrschende Elite die wohlgesättigt mit Schlips und Kragen versucht die Arbeiter*innen in Bosnien gegeneinander aufzubringen und sich so viel Geld wie möglich in die eigenen Taschen zu stecken. Denn eine getrennte Arbeiter*innenklasse ist leichter unter Kontrolle zu halten als eine vereinte, ganz nach dem alten Herrschaftsprinzip: Divide an Conquer. Die enorme Gefahr die von dieser antinationalistischen Bewegung ausgeht hat auch die herrschende Klasse (Kapitalist*innen, Politiker*innen, Profiteure…) schnell erkannt und hat nicht nur in Bosnien selber versucht die Proteste durch Verschwörungstheorien auf nationalistischer Basis zu verunglimpfen, sondern auch in den Nachbarländern ähnliche Theorien aufgestellt. Die Demonstrationen waren doch nur eine Verschwörung gegen die Kroatinnen, ein Versuch die Republika Srbska zu zerstören und so weiter. Diese Masche hat jedoch nicht gezogen, die Proteste verbreiteten sich auch in Teil des Landes mit großer kroatischer oder serbischer Population wie Mostar und Bjelina. Auch für andere Länder am Balkan, die in einer ähnlichen politischen Situation gefangen sind, waren die Proteste in Bosnien inspirierend. Es gab Solidaritätsdemonstrationen in Serbien, Montenegro, Kroatien und Makedonien was ein weiterer Ausdruck für das Potential ist, dass sich die Bewegung auch auf den Rest des Balkans ausbreiten kann und hoffentlich wird.

Unsere Nation ist die Freiheit! Sloboda je nasa nacija!

Die Art der Bewegung lässt sich sehr gut aus den Forderungen der Arbeiter*innen in Tuzla ablesen, es sind nämlich Großteils klare Forderungen nach einem anständigen Leben und einem Ende der Privatisierungen und Profitherrschaft der Kapitalist*innen in Bosnien. Es wird die Rücknahme der Privatisierungen und Renationalisierung der betroffenen Betriebe unter der Kontrolle der Arbeiter*innen gefordert wie auch die Angleichung der Regierungsgehälter an die normaler Arbeiter*innen im öffentlichen und privaten Sektor. Genauso ist eine Forderung endlich die Leute zu Rechenschaft zu ziehen die schon jahrelang ungestraft an krummen Geschäften und Privatisierungen profitiert haben. Dies zeigt, dass die Arbeiter*innen und Jugendlichen in Bosnien recht gut sehen können wo die Ungerechtigkeiten liegen. Eine der problematischeren Forderungen ist die nach einer „Expert*innenregierung“ in der keine Mitglieder von Partien beteiligt sein dürfen. Klarerweise drückt die Forderung den tiefen Hass und das riesige Misstrauen der Menschen gegen Parteien und Institutionen aus, die sie regelmäßig verraten und vor die Hunde geschmissen haben. Aber wer sollen diese Expert*innen sein? Wirtschaftsstudent*innen? Firmenchefs? Das wäre keine so kluge Idee, sind nicht die Leute die Menschen am besten geeignet einen Betrieb zu organisieren die in ihm Arbeiten? Wissen die Leute die selber am Feld arbeiten nicht am besten wie man es macht? Wäre es da nicht besser zu sagen, dass die Menschen Bosnien selber die  Expert*innen sind die sie brauchen und dass sie sich in Basisstrukturen selber in Betrieben, Stadtvierteln, Schulen, Unis  organisieren müssen und ihr Leben endlich selber in die Hand nehmen anstatt es „Expert*innen“ anzuvertrauen?

Alle Macht den Plena!

Die Forderungen aus Tuzla wurden auch in den meisten anderen Städten in Bosnien angenommen. Die Bewegung hat sich selber ihre eigenen Strukturen während der Proteste gegeben, nämlich von unten organisierte Treffen aller Bürger*innen der jeweiligen Städte. Das erste solche Plenum fand im Zentrum der Bewegung Tuzla statt mit einer regen Beteiligung von über 1000 Menschen die dort die Forderungen der Bewegung und die Umstände mit denen sie zu kämpfen haben diskutierten und beschlossen. Jede*r darf 2 Minuten sprechen, Vertreter*innen der etablierten Parteien sind nicht willkommen. Es ist der Ort wo alle aufeinander Treffen und die nächsten Schritte für die Proteste planen. In einigen Kantons haben die Plena sogar von den Regierungen die Macht bekommen die Regierung bis zu den nächsten Wahlen zu besetzten, dies zeigt was für Angst die die Politiker*innen vor den sich immer mehr organisierenden Arbeiter*innen und einer weiteren Eskalation der Proteste haben. In fast allen größeren Städten des Landes gibt es Plena mit einer meistens hohen Beteiligung, in Sarajevo nehmen an den regelmäßigen Plena zwischen 700-1500 Menschen teil um sich zu koordinieren. Auch kam es in letzter Zeit zur Bildung unterschiedlicher Arbeitsgruppen und einer weiteren Vertiefung der Forderungen der Bewegung vor allem auch im Bildungs- und Jugendbereich. Probleme gab es aktuell in Sarajevo Räumlichkeiten für die Plena zu finden bzw. Zutritt auf die bisherigen Räumlichkeiten zu bekommen, weil die Regierung nicht auf die Forderung eingegangen ist adäquate Räumlichkeiten zugänglich zu machen. Wir glauben, wenn man keine Räumlichkeiten bekommt dann soll man sich einfach welche nehmen! Zum Beispiel könnte man ja die Regierungsgebäude besetzen und dort Plena abhalten die sind sicher sehr gut für so etwas geeignet und man könnte technischere und unwichtigere Punkte von der Tagesordnung weghalten. Ein weiterer guter Schritt ist die Vernetzung der unterschiedlichen Stadtplena die schon seit einigen Wochen stattfindet.