Und täglich grüßt die neue Regierungskrise

Der Ibiza-Skandal ist gerade einmal zwei Jahre her und schon erschüttert der nächste die österreichische Politik. Die publik gewordenen Chats des Kurz-Netzwerkes sowie die Hausdurchsuchungen und Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu Bestechlichkeit, Bestechung, Untreue und Falschaussagen gipfelten schlussendlich in dem Rücktritt von Sebastian Kurz vom Amt des Bundeskanzlers. An seine Stelle trat nun der ehemalige türkise Außenminister Alexander Schallenberg. Doch eins nach dem anderen: Wie begann das Ganze? Welche Ausmaße hat dieser Skandal und was bedeutet er politisch?

Das System Kurz

Die Untersuchungen sind noch lange nicht abgeschlossen, aber aus den jetzt öffentlich verfügbaren Materialen lässt sich ein sehr konkretes Bild, einer zutiefst korrupten und professionellen Maschinerie, nachzeichnen. Bereits in seiner Zeit als Außenminister unter der letzten großen Koalition (SPÖ-ÖVP) 2013-2017 verstanden es Kurz und sein Team wie kaum andere, sich medienwirksam als neue Hoffnung der ÖVP darzustellen. Ihnen gelang es, zutiefst bürgerlicher und rassistischer Politik einen jungen, „hippen“ Anstrich zu geben und damit neue Wähler:innen für die damals abgeschlagene ÖVP zu gewinnen. Doch damit nicht genug, wollte er so schnell wie möglichst die Macht in der ÖVP übernehmen. Um den damaligen eher sozialpartnerschaftlich eingestellten ÖVP-Obmann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner aus dem Amt zu putschen, gab Kurz bzw. sein Netzwerk gefälschte und durch Steuergelder finanzierte Umfragen in Auftrag, die dann anschließend in der Tageszeitung „Österreich“ veröffentlicht wurden. Ziel dieser Umfragen war es einerseits, Mitterlehner schlecht dastehen zu lassen, andererseits die Popularität von Kurz aufzuzeigen. Gleichzeitig trieb Kurz mithilfe vom damaligen Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) einen immer stärkeren Keil in die große Koalition. Der Plan bzw. das sogenannte „Projekt Ballhausplatz“ ging dann schlussendlich komplett auf. Die Koalition zerbrach, Mitterlehner trat zurück, und Sebastian Kurz übernahm die ÖVP.

Mit einem extrem kapitalfreundlichen und rechtspopulistischen Programm mobilisierte Kurz relevante Teile des österreichischen Kapitals sowie große und einflussreiche Geldgeber*innen. Die gefälschten Umfragewerte sprachen ebenso für sich, weswegen Kurz bei seiner Ernennung zum Chef der ÖVP seine Macht ausweitete und die Rolle der Landeshauptleute schwächte. Die Neuwahlen konnte die ÖVP für sich entscheiden (wobei bewusst die Wahlkampfkosten um über 6.000.000€ überschritten wurden, wohlwissend, dass die Strafzahlung im Vergleich dazu läppisch sein würde) und setzte dann die Schwarz-Blaue Regierung ein. Zentrale Leitfiguren wie Thomas Schmid, Wolfang Sobotka, Gernot Blümel, Sophie Karmasin, Johannes Frischmann etc. wurden natürlich allesamt mit hohen Posten belohnt. Die Medien, die Kurz zum Sieg verhalfen, durften sich auch über zahlreiche Inserate freuen. Die schwarz-blaue Regierung setzte anschließend das Programm der ÖVP auch beinhart um. Mit Projekten wie der Einführung des 12-Stunden-Tages, der Zerstörung der AUVA, des rigorosen Abbaus des Sozialstaates und der extrem harten und rassistischen Linie gegenüber Geflohenen zeigte die ÖVP samt der FPÖ, wofür sie stehen: Politik im Sinne der Reichen und Konzerne auf Kosten von Arbeiter:innen, Migrant:innen, Frauen und Jugendlichen. Das System Kurz war kaum aufzuhalten, zumal es auch kaum Opposition gab. Wenn auch linker Widerstand sich immer stärker formiert hat und der Protest auf der Straße eine immer größer werdende Rolle spielte, reichte der Druck ohne relevante Teile der Arbeiter:innenklasse zu mobiliseren kaum aus. Die SPÖ, die traditionell noch die meisten Arbeiter:innen und Gewerkschaften mobilisieren kann, glänzte hingegen bei den sozialen Kämpfen durch Abwesenheit.

Schredder-Affäre und Ibiza-Skandal

Einige Tage nach dem Bekanntwerden des Ibiza-Skandals geriet aber das System Kurz für einen Moment ins Schwanken. Aus Angst vor möglichen Ermittlungen schredderte ein Vertrauter von Kurz im Auftrag von Finanzminister Blümels Kabinett Festplatten mit sensiblen Daten. Die Ermittlungen hierzu wurden nach kurzer Zeit abgedreht. Obwohl beim Ibiza-U-Ausschuss einiges an Skandalen zur ÖVP aufgedeckt werden konnte – wie Postenschacherei im Zusammenhang mit den Casinos und der ÖBAG – gelang es der ÖVP, sich aus der Affäre zu ziehen. Mit einem abermals rigoros inszenierten Wahlkampf und aufgehübschten Umfragewerten setzte sich Kurz bei den Neuwahlen 2019 wieder durch. Mit den Grünen als Junior-Partnerin setzte die ÖVP ihre Politik weiter um: Neoliberalismus und Rassismus, nur jetzt mit grüner Fassade.

Zurück zur Gegenwart: Das Bild, das sich aus den Chats ergab, sowie die Vorwürfe wogen zu schwer. Unter massivem Druck musste Kurz zurücktreten. Der ehemalige Außenminister und Kurz-Vertraute Alexander Schallenberg wurde zum neuen Bundeskanzler ernannt. Doch das System Kurz ist bei Weitem nicht Geschichte. Die gesamte ÖVP-Regierungstruppe sowie der Bundeskanzler stehen momentan geschlossen hinter ihm, lediglich einige der Landeshauptleute haben ihren Unmut kundgetan. Mit überragender Mehrheit wurde Kurz zum Obmann der ÖVP gewählt. Das Kurz weiterhin die Fäden im Hintergrund zieht, ist mehr als klar, und auch der neue Bundeskanzler sagte offen, dass das System Kurz weiter regieren wird.

Politische Schlussfolgerungen und die Frage des Widerstandes

Doch was bedeutet das Ganze politisch? Viele sind aktuell erschrocken, was für ein Bild sich da offenbart. Doch als revolutionäre Antikapitalist:innen muss uns klar sein, dass das ein Paradebeispiel bürgerlicher Politik ist. Vertreter:innen des Kapitals wie die ÖVP können ihre Politik für die Reichen und Konzerne problemlos im Geheimen durchsetzen. Sie können mit massiv Geld Wahlkämpfe führen, die öffentliche Meinung manipulieren und unliebsame Projekte (wie den 12-Stunden-Tag) gegen die Interessen der Mehrheit durchboxen und kriegen dabei massiv Unterstützung vom Kapital. Das passiert alles im Rahmen bürgerlicher Institutionen, und parlamentarischer Wahlen, die sich gerne nach außen hin als fair, neutral und ideologiebefreit präsentieren. Der bürgerliche Staat war aber nie neutral, von Anfang an war der Staat Werkzeug des besitzenden Bürgertums, um ihr Eigentum zu schützen und Politik in ihrem Sinne zu treiben. Auch heute ist der Staat essentiell mit den Interessen des Kapitals verbunden. Für die Medien gilt selbiges, zumal sie auch große Konzerne darstellen, die ebenfalls – ob Boulevard oder nicht – letztlich profiorientiert und nicht selten auch gut verschränkt mit dem Kapital sind.

Eine weitere wichtige Frage ist die des Widerstandes. Die Grünen haben abermals gezeigt, dass sie für den Machterhalt bereit sind, ihre vermeintlichen Prinzipien zu verraten. Die SPÖ hat ebenfalls wenig überraschend kaum Druck gemacht, sondern eher mit der Option geliebäugelt, unter der Duldung der FPÖ eine Minderheitenregierung anzustreben. Dieses Vakuum an Winderstand muss mit tatsächlich linker Politik gefüllt werden, die gerade auch jenen eine Perspektive gibt, die im Zuge der FFF-Bewegung erstmals politisiert und von den Grünen gelockt wurden.

Es braucht linken und gut organisierten Widerstand mit einer klaren antikapitalistischen Perspektive. Denn auch wenn im bürgerlichen Parlamentarismus mit massiv Druck immer wieder wichtige Erfolge im Interesse der Arbeiter:innenschaft und anderen unterdrückten Gruppen erkämpft werden können, gibt es Grenzen in unserem bürgerlichen System. Politik, die tatsächlich für die Interessen der Massen der Arbeiter:innen, Migrant:innen, Geflohenen, Frauen und Jugendlichen eintreten will, muss nun mal die Besitzfrage stellen –  die Frage, wer das Kapital besitzt und für wen eigentlich produziert wird. Geschieht dies den Bedürfnissen der Mehrheit entsprechend oder im Sinne des Profits einer absoluten Minderheit?

Ersteres ist nur möglich mit einer Überwindung des aktuellen Systems! Gerade deswegen ist es jetzt umso wichtiger, linken Widerstand aufzubauen und den Druck auf der Straße zu erhöhen!


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