Globaler Rechtsruck – neue faschistische und rechtsradikale Bedrohungen

Wenn auf Demos „Hinter dem Faschismus steckt das Kapital!” gerufen wird, was genau ist eigentlich damit gemeint? Was sind Nazis, was sind Neonazis? Auf wen trifft diese Bezeichnung hingegen nicht zu? Und – vielleicht am Wichtigsten – wie geht man als Linke effektiv gegen Rechtsradikalismus vor?

Über Brexit und Bolsonaro, von Argentinien bis Russland: Die politische Weltlage scheint sich zunehmend nach rechts zu entwickeln. Besonders seit der Weltwirtschaftskrise 2008 lässt sich ein signifikanter Zuwachs an ökonomischer (und somit auch politischer) Instabilität festmachen. Während linke Parteien dieser Unsicherheit – zumindest global betrachtet – bislang keine überzeugende Alternative entgegenstellen konnten, bietet der Rechtsruck vor allem für rechte Parteien und Gruppierungen eine Chance, Wähler*innen auf ihre Seite zu ziehen. Doch rechts ist nicht gleich rechts. So umfasst auch die momentan international beobachtbare politische Tendenz mehrere Dimensionen. Um bestimmte Gruppen oder Parteien im wilden, diversen Gemenge der Rechten verorten zu können, gehen wir als Trotzkist*innen im Großen und Ganzen von einer Dreiteilung aus.

Erstens kann man von etablierten konservativen Parteien (wie beispielsweise der ÖVP in Österreich) sprechen, welche sich im Zuge des Rechtsrucks natürlich auch selbst weiter nach rechts bewegen. Damit öffnen sie auch den Spielraum für andere, noch rechtere Parteien und Gruppen und arbeiten auch teilweise mit diesen zusammen.

Die zweite bestimmbare Kategorie sind „etablierte“ rechtspopulistische Parteien, wie etwa die französische Rassemblement National (ehem. Front National) oder die österreichische Freiheitliche Partei. „Populismus“ bezeichnet hier eine politische Methode, bei der durch berechnende und hetzerische Rhetorik und das Anbieten einfacher vermeintlicher Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme weite Teile der Wähler*innenschaft angesprochen werden sollen. sollen. Rechtspopulistische Parteien erfreuen sich momentan nahezu weltweit an großer Beliebtheit – und das vor allem bei Wähler*innen der Arbeiter*innenklasse. Warum jedoch lassen sich gerade Arbeiter*innen für rassistische und sexistische Ideen begeistern? Vereinfachend kann man hier Folgendes festhalten: Wir meinen, dass wirtschaftlich krisenhafte Phasen dem Kapitalismus inhärent sind und diese die Reichen reicher und die Armen ärmer machen. Bestimmte Widersprüche und Ungleichheiten im kapitalistischen System werden von rechtspopulistischen Parteien auch erkannt, doch anstatt deren Ursachen zu benennen, beruft man sich auf „Buhmänner“ und verbreitet rassistische, sexistische, homophobe Politik, die die Klassengegensätze zwischen Arm und Reich in den Hintergrund rückt. Konkrete Forderungen derartiger Parteien sind aber weniger im Interesse der Arbeiter*innenklasse als in jenem der Bourgeoisie: So hat sich die FPÖ nicht davor gescheut, den 12-Stunden-Tag einzuführen, also eine Erhöhung der Arbeitszeitobergrenzen. Die arbeiter*innenfeindliche Politik der Schwarz-Blau Regierung kann dabei als mustergültiges Beispiel genommen werden, wie sehr die Interessen vom Kapital mit denen von Rechtspopulisten, so sozial sie sich auf der Oberfläche auch präsentieren mögen, verwoben sind.

Die dritte, sich deutlich von den ersten beiden Kategorien unterscheidende Gruppierung betrifft faschistische, militante Organisationen. Aber was genau ist eigentlich Faschismus? Zurückgeführt werden kann die Bezeichnung auf italienische Kampfbünde – sogenannte „fascios“ – zu Zeiten des diktatorischen Regimes Mussolinis. Ein wichtiges Kennzeichen faschistischer Gruppierungen ist die paramilitärische Aufstellung und meist auch Aufrüstung und diesbezügliche Kampfbereitschaft. Erscheint der Begriff nun nach wie vor schwammig, ist das kein Wunder: Seine Bedeutung wird seit Jahrzehnten diskutiert, und die Definitionen beziehungsweise Kriterien variieren je nach Analyse oder Denkrichtung.

Aus trotzkistischer Sicht kann man Faschismus als Bewegung betrachten, welche sich in Zeiten sozialer Krisen aus dem Klassenkampf entwickelt. Eine wichtige Rolle spielt hier  das Kleinbürger*innentum, welches in wirtschaftlich stabilen Zeiten einen relativ sicheren Stand in der Gesellschaft genießt, dieses Privileg bei den bereits erwähnten Krisen jedoch zu verlieren droht und das Klassenverhältnis folglich umkrempeln muss, um die eigene Stellung nicht zu verlieren. Je nach historischen Umständen läuft die Entwicklung und Radikalisierung zum Faschismus hin unterschiedlich ab. Dennoch ist allen faschistischen Bewegungen gemeinsam, dass sie Klassenlinien weitgehend ausblenden, sich stattdessen auf eine „völkische“, antidemokratische und anti-egalitäre Ideologie berufen und Menschen ihre Wertigkeit nach Ethnie, Geschlecht und politischer Ideologie zusprechen. Und unabhängig davon, ob sich die jeweilige faschistische Organisation als antikapitalistisch versteht oder nicht: All diese Aspekte lassen immer auch eine gespaltene und geschwächte Arbeiter*innenklasse zurück. Die erfolgreiche Machtübernahme faschistischer Parteien kann im Wesentlichen darauf zurückgeführt werden, dass sie erstens die Arbeiter*innenbewegung und ihren Organen, denen es nicht gelungen ist eine revolutionäre Alternative zum gescheiterten bürgerlichen System zu bieten, zerschlagen und die enttäuschten Massen auf ihre Seite ziehen. Zweitens schlägt sich das in die Ecke gedrängte Kapital auf die Seite des Faschismus, wenn der Rahmen der bürgerlichen Demokratie nicht mehr ausreicht um die Macht der Bourgeoise aufrechtzuerhalten und die Enteignung droht.

Was rechtspopulistische und faschistische Gruppierungen teilen, ist die Selbstpräsentation als „Kämpfer*innen gegen das Establishment‘“, die Betonung des „ehrlichen, hart arbeitenden Volkes“ sowie das Ausklammern von Klassengegensätzen. Der wesentliche Unterschied besteht aber in der Radikalität der Forderungsdurchsetzung und der grundsätzlich antidemokratischen Haltung des Faschismus.

Häufig begeht man den Fehler, rechtspopulistische oder sogar „bloß“ konservative Parteien als faschistisch einzustufen, womit man nicht nur die Gräuel real faschistischer Regimes herunterspielt, sondern auch taktisch völlig falsch vorgeht. Einer militanten, zur Gewalt bereiten Organisation muss man eine andere Haltung entgegenbringen als einer in ihrer politischen Praxis zwar de facto rassistischen, aber immer noch vergleichsweise „gemäßigten“ Partei. Sehr wohl sollte man hier jedoch das Programm rechtspopulistischer Parteien von Statements, Handlungen und Verbindungen einzelner Mitglieder unterscheiden. Denn solche können persönlich sehr wohl faschistisch ausgerichtet oder vernetzt sein.

Auch eigentlich faschistische Gruppierungen arbeiten mit Rechtspopulist*innen zusammen und vermitteln so zwischen verschiedenen rechtsradikalen Ideologien. Ein hervorragendes Beispiel wäre hierfür die Identitäre Bewegung Österreichs, deren Demos immer wieder von FPÖ-Mitgliedern besucht wurden. Von gemeinsamen Konferenzen ist ebenso die Rede. Darüberhinausgehend wurde der Gruppierung das von ihnen als „Zentrum“ genutzte Büro vom Grazer FPler Heinrich Sickl vermietet. Seit dem Skandal um eine Spende des Christchurch-Attentäters an Identitären-Chef Martin Sellner wird darauf geachtet, offensichtliche Verbindungen zu leugnen oder gänzlich zu kappen. Allerdings verhalfen die Identitären Ex-Parteichef HC Strache durch einen Werbefeldzug (selbst nach der Causa rund um Sellner) zu einem Mandat im EU-Parlament.

Wer nun auf der Website der Identitären Bewegung herumstöbert, wird statt expliziten Nazisymbolen und vulgären Reden schlichtes Design und eine quasi-seriöse Aufmachung vorfinden. Auf den ersten Blick mag alles vergleichsweise harmlos wirken. Damit erfassen die Identitären eine wesentliche Komponente der „Neuen Rechten“, einer relativ uneinheitlichen, aber doch rechtsradikalen politischen Strömung. Diese wird als „neu“ bezeichnet, weil man sich von vielen Begriffen der „alten Rechten“ (jener zur Zeit des Nationalsozialismus) abzugrenzen versucht. Diese vermeintliche Abgrenzung findet jedoch nur auf oberflächlicher Ebene statt: So orientiert sich die neurechte Ideologie stark an den Denkern der konservativen Revolution zur Zeit der Weimarer Republik. Man bemüht sich jedoch darum, ebendieser Ideologie einen „modernen, freundlicheren“ Anstrich zu verpassen. Daneben gilt es weniger als Ziel der Neuen Rechten, stabile politische Parteien zu konstituieren, sondern vielmehr einen prominenteren Platz in allgemeinen, öffentlichen Diskussionen einzunehmen und letzten Endes den „Kampf um die Köpfe“ für sich zu gewinnen. Zunächst harmlos klingende Begriffe wie jener des „Ethnopluralismus“ – der ihrer Propaganda von „Apartheid“ dient beziehungsweise ihren Irrsinn von „Weltsystem“ mit strikt voneinander abgegrenzten „Kulturgruppen“ beschreibt, die sich ja nicht miteinander „vermischen“ sollen – verschleiern mitunter den frappanten Rassismus und die rohe Brutalität der Gruppierungen. Der anscheinend seriöse Auftritt macht die Neuen Rechten oftmals weniger angreifbar.

Vor dem Hintergrund derselben neurechten Ideen, aber angesichts ihrer Annahme der größeren Bereitschaft der Bevölkerung, faschistische Ideologien zu akzeptieren, positionieren sich die Bewegungen CasaPound in Italien und Goldene Morgenröte in Griechenland offen als Neonazis. Wie und wodurch diese „Bereitschaft“ überhaupt entstanden ist, hängt natürlich von bestimmten historischen Faktoren ab. Doch Italien und Griechenland sind jedenfalls Staaten, deren wirtschaftliche Lage nachhaltig von der kapitalistischen Krise geschädigt wurde. Und mangelnde Sozialleistungen sowie hohe Armutsgefahr bieten erfahrungsgemäß fruchtbaren Boden für neonazistisches Gedankengut. Beide Gruppierungen stellten im Lauf der Jahre sogar eigene, nicht unerfolgreiche Parteien auf. Glücklicherweise ist die Goldene Morgenröte jedoch kürzlich aus dem Parlament geflogen – vor allem dank linker Bündnisarbeit und Mobilisierung vor den Wahlen. Momentan befindet sich der gesamte Parteiapparat vor Gericht – aufgrund verschiedener Anschläge gegen Flüchtlinge und der Ermordung des antifaschistischen Rappers Pavlos Fyssas.

Einzug ins Kabinett hat der Faschismus hingegen in Brasilien gehalten. Präsident Bolsonaro vertritt faschistische Positionen gegenüber Frauen, Linken, LGBTQ+-Personen und indigenen Bevölkerungsgruppen und hinter ihm sammeln sich neben Militär und Polizeikräfte auch paramilitärische Gruppierungen. Er verherrlicht die brasilianische Militärdiktatur, hat als eine der ersten Amtshandlungen Sozialleistungen gekürzt und weite Teile des Regenwaldes, ganz ohne Rücksicht auf Indigene oder Umwelt, als Agrarflächen freigegeben. Auch die in Brasilien ohnehin bereits massive Gewalt gegen Frauen und Homosexuelle wird sich unter Bolsonaro vermutlich noch weiter verschärfen. Dennoch ist Brasilien – da es sich bei aktuellen politischen Entwicklungen bislang nicht um eine militante Massenbewegung handelt – noch kein vollends faschistischer Staat. Schaffen es die Arbeiter*innenklasse respektive die Zivilbevölkerung, sich gegen Bolsonaro zu organisieren und ihn letztendlich zu stürzen, kann die faschistische Gefahr – zumindest fürs Erste – abgewendet werden.

Zum Abschluss dieses Artikels sei Folgendes festgehalten: Faschismus zu bekämpfen ist kein leichtes Unterfangen! Denn bei den meisten Faschist*innen handelt es sich nicht um zufällig in die rechte Szene hineingerutschte Laien, sondern um gut in ihrer Ideologie geschulte Menschen, die sich nicht mit simplen Argumenten zum Sozialismus konvertieren lassen. Auch kann man sich nicht darauf verlassen, dass der bürgerliche Staat im Kampf gegen Faschismus als Partner der Linken fungieren wird, dient er doch jenen Mächten, aus denen sich faschistisches Gedankengut herausentwickelt. Als Linke ist es hingegen wichtig, die wahren Ursachen wirtschaftlich krisenhafter Phasen akkurat zu benennen und dort Perspektive zu bieten, wo rechtspopulistische und faschistische Parteien die Arbeiter*innenklasse bislang nur in Sackgassen geführt haben. Da Gruppierungen der äußersten Rechten oft genug gezeigt haben, dass sie zu physischer Gewaltanwendung mehr als nur bereit sind, muss weiter die Frage der antifaschistischen Selbstverteidigung aufgeworfen und diskutiert werden. Und zuletzt muss man sich immer wieder vor Augen führen: Um langfristig das zu halten, was er verspricht, muss ein antifaschistischer Kampf auch antikapitalistisch sein!

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