Anti-G8 Tagebuch

Bericht von REVOLUTION über die G8-Proteste

Großdemonstrationen und Gefängnisaufenthalt

Die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, Japan und Russland – kurz: die G8 – haben sich dieses Jahr in Heiligendamm getroffen. Ein kleiner Ort mit 229 Einwohnern. Nach den Erfahrungen in Genua – wo es massive Proteste gab und die italienische Polizei einen Demonstranten erschossen hat – haben die G8 beschlossen, ihre Treffen nunmehr in kleinen Orten abzuhalten, die für Anti-G8-AktivistInnen schwer zu erreichen sind. Nichtsdestotrotz haben über 100.000 Menschen über die ganze Woche verteilt gegen die menschenverachtende Politik der G8 demonstriert. Im folgenden Tagebuch schildert ein REVOLUTION-Aktivist seine Erfahrungen, die er auf den Protesten gegen die G8 sammeln konnte.

Durch die schlechten technischen Bedingungen im Camp (d.h. das weitgehende Fehlen von Internet und Computern) sind wir gezwungen, dieses Tagebuch im Nachhinein zu schreiben und zu veröffentlichen.

Tag 1: Ankunft im Camp

Tag 2: Großdemonstration und Polizeiprovokation

Tag 3: Diskussionen und Veranstaltungen

Tag 4: A – Anti – Antifascista!

Tag 5: Hello George W.!

Tag 6: G8 Gipfel blockieren!

Tag 7: Repression gegen REVOLUTION! Ein Genosse wird verhaftet!

Tag 8: Das war der G8 – wie kämpfen wir weiter?

Tag 1 – Freitag: Nach einer ca. 10-stündigen, zermürbenden und schlafraubenden Busfahrt kommen wir um 06.30 endlich in Berlin an. Von dort geht es dann weiter mit dem Zug nach Rostock, in eines der dortigen Camps, die extra für Anti-G8-AktivistInnen aus der ganzen Welt angelegt worden sind. Nach erneuten 3 Stunden im Zug, kommen wir endlich im Camp an und beginnen mit dem Aufbau der Zelte. Im Camp kommt es zum Wiedersehen von internationalen Genossinnen und Genossen aus den REVOLUTION-Sektionen in Deutschland, Großbritannien, Schweden, der Tschechischen Republik und Indonesien. Obwohl alle sichtlich müde von der Anreise und den wochenlangen Vorbereitungen für die Proteste gegen die G8 sind, bereiten wir die kommende Demonstration sowohl praktisch als auch organisatorisch vor. Es wird diskutiert, wie wir uns auf der Demonstration verhalten, wer welche Aufgaben übernimmt, es werden die letzten Transparente gemalt und Fahnen montiert. Das abendliche Eintreffen von weiteren GenossInnen aus der ganzen Welt ist zwar nicht schlaffördernd, dafür kann die Zeit jedoch genutzt werden um Erfahrungen auszutauschen und die letzten Details für die kommende Großdemonstration zu besprechen. Um ca. 2 Uhr morgens ziehe ich mich jedoch in mein Zelt zurück und krieche in meinen Schlafsack (nachdem ich diverse, krabbelnde Tierchen aus dem Zelt entfernt habe).

Tag 2 – Samstag: Heute ist es so weit. Die Großdemonstration, auf die monatelang hingearbeitet wurde, wird in wenigen Stunden stattfinden. Wir packen alles zusammen und fahren dann – ausgerüstet mit Megaphonen, Fahnen, Transparenten, Trommeln und einer Menge Zeitungen – zum Rostocker Hauptbahnhof, an dem der allgemeine Treffpunkt für die Demonstration angesetzt ist. Im Hauptbahnhof selbst, kommt es zu den ersten Kontrollen durch die Polizei. Sie wollen Taschen durchsuchen und die Identität feststellen. Schon jetzt versucht man, es G8-GegnerInnen schwer zu machen, zu den Protesten zu kommen und sie zu kriminalisieren. Das sollte jedoch nur der Anfang einer ganzen Reihe von Provokationen und Angriffen von Seiten der Polizei sein, die sich über die ganze restliche Woche erstreckt haben. Um ca. 11.00 Uhr sind wir dann auch auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof angekommen, die Polizei beließ es bei Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen. Die nächsten 2 Stunden konnten wir dazu nutzen, um unsere Ideen durch den Verkauf unserer Zeitung und durch das Verteilen von Flyern zu verbreiten. Auf dem Platz gab es noch eine Bühne, auf der kritische KünstlerInnen auftraten. Unter anderem ein Rapper, ein Liedermacher mit seiner Gitarre und sonstige Bands, die was zu sagen haben. Um 13.00 geht es dann los. Wir stellen uns auf, organisieren unseren Block – Fronttransparent, davor 2 Trommeln, 3 Fahnen und 2 Megaphone, hinter dem Transparent jede Menge Fahnen – und reihen uns in die Demonstration ein. Schon zu Beginn haben wir einen sehr lautstarken, militanten und kämpferischen Block. Dadurch gelingt es uns einen Block mit insgesamt 150 Menschen zu organisieren und diese durch das Rufen von Losungen zu integrieren. Ich selbst habe ein Megaphon und versuche die Stimmung aufrecht zu erhalten. Mit kleinen Reden zwischendurch versuche ich die Menschen, die am Rand stehen über den Grund unseres Protestes zu informieren. Nach ca. einer halben Stunde kommt die militante italienische Gewerkschaft COBAS zu unserem Block und wir marschieren mit ihnen gemeinsam. REVOLUTION, die Liga für die 5. Internationale und COBAS – ArbeiterInnen und Jugendliche zusammen gegen die G8, zusammen gegen Kapitalismus. Zu diesem Zeitpunkt ist die Polizei noch ziemlich ruhig, es scheint eine friedliche Demonstration ohne Ausschreitungen zu werden. Doch als es dann zu einem größeren Platz geht, an dem die Abschlusskundgebung stattfindet, geht alles blitzschnell. Innerhalb von ca. einer Minute hat sich die Demonstration vor uns aufgelöst und die Polizei kommt mit gezogenen Knüppeln und geballter Faust auf uns zugerannt. Grund dafür war ein Angriff auf einen leeren Polizeibus, den die Polizei absichtlich und provokativ auf dem Gelände der Kundgebung geparkt hatte – sie wollte einen Grund provozieren um die Demonstration angreifen zu können. Zusammen mit unseren türkischen GenossInnen, mit denen wir auch für den Rest der Woche sehr gut zusammengearbeitet haben, verteidigen wir die Demonstration. Wir bilden Menschenketten, um von der Polizei nicht auseinandergejagt werden zu können. Zwei REVOLUTION-Genossen aus Österreich stehen an vorderster Front und bekommen einen Faustschlag und einen Schlag mit dem Knüppel ins Gesicht ab, ein deutscher Genosse bekommt Pfefferspray in die Augen. Nichtsdestotrotz bleiben sie stehen und verteidigen die Demonstration. Während wir die Demonstration verteidigen, liefern sich diverse Autonome und Anarchisten einen unorganisierten Straßenkampf mit der Polizei. Es werden Steine, Flaschen und sonstige Dinge geworfen. Doch diese Leute wollen die Konsequenzen für ihre Taten nicht tragen und sind die ersten, die von der Polizei weglaufen. Sie machen dies, indem sie in die Demonstration hineinlaufen, unsere Ketten zerreißen und von hinten weiter Dinge auf die Polizei werfen. Wir sind jedoch jene, die den Knüppel zu spüren bekommen und die Demonstration verteidigen. Nachdem ein Großteil der Demonstration es geschafft hat, zum Ort der Abschlusskundgebung zu kommen und die Straßenkämpfe zu einem Kleinkrieg zwischen einigen Autonomen und der Polizei ausarten, entscheiden wir uns zurückzuziehen, Infotische aufzubauen und Zeitungen, T-Shirts, Buttons und sonstige Materialien zu verkaufen. Die Lage scheint sich dann auch zu beruhigen, doch die Polizei hört nicht auf, die Demonstration zu provozieren. Schlussendlich werden dann auch Wasserwerfer eingesetzt, die auf große Teile der DemonstrantInnen gerichtet werden, die friedlich den RednerInnen bei der Kundgebung zuhören. Nachdem sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt hat, verlassen wir die Demonstration und gehen zurück ins Camp.

Tag 3 – Sonntag: Für diesen Tag waren keine Demonstrationen geplant – deshalb nutzten wir den Tag sowohl um uns etwas zu erholen, als auch für Diskussionen und Veranstaltungen. So hat REVOLUTION zusammen mit SOL (Sozialistische Linke) und der Neuen demokratischen Jugend eine Veranstaltung zum Thema „Widerstand der Jugend“ organisiert. Die RednerInnen von Revolution (eine Genossin aus Wien und ein Genosse aus Stuttgart) haben vom Podium aus vor allem die Notwendigkeit einer Jugendinternationale betont, die es schafft dem globalen Kapitalismus auch globalen Widerstand entgegenzusetzen. Später fand auch noch ein Treffen zwischen der LFI und COBAS statt. Mittlerweile hat die Polizei das Camp verstärkt ins Visier genommen. Fast permanent kreisen Helikopter über das Camp. Manchmal tauchen sogar mehrere gleichzeitig auf. Sonntag ist auch der eigentliche Beginn einer massiven ideologischen Kampagne in den Medien gegen die Anti-G8-AktivistInnen. Mit Überschriften wie „Wollt ihr Menschen töten, ihr Chaoten?“ versucht vor allem die Bild-Zeitung eine Hetzjagd zu eröffnen und den Weg für weitere massive Angriffe der Polizei zu ebnen.

Tag 4 – Montag: A-Anti-Antifascista! Heute stehen diverse antirassistische Aktionen auf dem Programm. Beginnen tut es mit einer Kundgebung am Vormittag in der Nähe jenes Ortes an dem 1992 ein Asylwerbeheim von Faschisten angezündet worden ist. Insgesamt nehmen ca. 1.000 Leute an dieser Kundgebung teil. Die meisten RednerInnen auf der Kundgebung geben nicht nur allgemeine, anti-rassistische Floskeln von sich, sondern betonten auch, dass eine Verbindung zwischen Rassismus/Faschismus und dem System des Kapitalismus besteht. Sehr positiv! Dass dies natürlich nicht im Interesse des deutschen, kapitalistischen Staates ist, konnte man kurz darauf merken. Obwohl dies eine friedliche Standkundgebung ist, bei der keinerlei Provokationen von Seiten der Anti-RassistInnen ausgehen, beginnt die Polizei die Kundgebung zu umstellen und somit einzukesseln. Das bereits von Samstag bekannte „Herumgeschubse“ begann erneut, die Polizei ging dann auch aggressiver gegen die TeilnehmerInnen dieser Kundgebung vor und verhaftete schlussendlich insgesamt 15 Anti-RassistInnen. Dies war ein eindrucksvolles Beispiel, dass es der Polizei nicht darum geht einzelne „Gewalttäter“ festzunehmen, sondern dass ihr Ziel die Zerschlagung unserer Bewegung ist. Da um 13.00 Uhr auch noch eine andere Demonstration stattfand, teilen wir uns auf – ein Teil blieb noch auf der Kundgebung und versuchte sie gegen die Polizeiübergriffe zu verteidigen, der andere Teil ging, zusammen mit unseren befreundeten türkischen Organisationen zum Treffpunkt für die Anti-Rassismus-Demonstration. Ich war bei jener Gruppe dabei, die zur Demonstration ging. Wir sind zuerst einige Stationen mit der S-Bahn gefahren und wollten dann mit der Straßenbahn weiterfahren. Da diese aber bewusst von Seiten der Polizei aufgehalten worden ist, entscheiden wir uns zu Fuß mit ca. 150-200 Leuten zum Versammlungsort zu gehen. Der Polizei ist dies nicht entgangen und nach ca. 15 Minuten Fußweg werden wir aufgehalten und ein türkischer Genosse wird verhaftet. Die Polizei lässt uns dann kurz weitergehen bis wir erneut von der Polizei umstellt und fast 11/2 Stunden eingekesselt und am Weitergehen gehindert. Sichtlich bereitet sich die umstehenden Polizisten auf einen Angriff auf uns vor – sie schließen ihre Visiere, ziehen sich Handschuhe an, bewaffnen sich mit „Schlagplatten“, die über die Handschuhe gezogen werden können. Doch es gelingt uns, die Stimmung ruhig zu halten und zu demonstrieren, dass von unserer Seite keinerlei Gewalt ausgeht. „Wir sind friedlich – was seid ihr?“ ist einer der meistgerufenen Sprüche. Auch hier ist klar, auf welcher Seite die Polizei steht – sie wollen verhindern, dass eine große, antirassistische Demonstration stattfindet. Deshalb halten sie uns fest und lassen uns nicht weitergehen. Nachdem wir weiter Losungen gerufen und uns nicht einschüchtern haben lassen, muss die Polizei schlussendlich den Weg frei machen und wir können nach längerer Zeit unseren Weg zur Demonstration wieder fortsetzen. Dort endlich angekommen, beginnt das Warten erneut. Die Polizei hat nun nämlich die ganze Demonstration, an der insgesamt 10.000 Anti-RassistInnen teilgenommen haben, erneut aufgehalten. Am Ende und am Anfang der Demonstration stehen jeweils zwei Wasserwerfer positioniert, die ein Weiterkommen verunmöglichen. Was für eine erneute Veranschaulichung der bürgerlichen Demokratie! Auch wenn Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der Verfassung verankert sind, so wird dieses demokratische Gerede bald wieder vergessen, wenn es darum geht, die Vertreter der 8 reichsten und mächtigsten Staaten der Welt zu schützen! Der Staat ist ein Mittel zur Klassenherrschaft der Bourgeoisie über die ArbeiterInnen und die Jugendlichen – diese Analyse wurde seit Samstag vollauf bestätigt. All jene reformistischen Kräfte, die meinen, dass der Staat ein Instrument der Klassenversöhnung ist – ja, das er sogar für einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus zu gebrauchen wäre – wurden mit der Realität konfrontiert. Doch wie Rifondazione Comunista in Italien oder die Linkspartei in Deutschland, kollaborieren solche Kräfte mit dem bürgerlichen Staatsapparat wo es nur geht. So auch bei den Protesten gegen den G8-Gipfel, bei denen ein Vertreter von ATTAC meinte: „wir wollen euch nicht sehen, wir wollen euch nicht dabei haben“; „Das hätte mit viel größerer Klarheit formuliert werden sollen, und ich denke, daß es jetzt zwingend notwendig ist, dies heute und für die nächsten Tage noch einmal sehr deutlich zu tun.“ Natürlich teilen wir auch die Politik des schwarzen Blocks nicht, jedoch kommt der ATTAC Sprecher Peter Wahl hier nicht über das Niveau der Bild-Zeitung hinaus, die meint, dass die Provokation einzig und allein von Seiten der Demonstranten ausgeht. Sogar Claudia Roth, Bundestagsabgeordnete und Bundesvorsitzende der Grünen, hat nach den Protesten bei der Talkshow „Sabine Christiansen“ gesagt, dass sogar ihre Freunde vom Klimabündnis von der Polizei angegriffen wurden, die sicher nicht von Militanz geprägt sind.

Die Polizei zieht schlussendlich ihre Wasserwerfer von der Straße ab und so kommen wir nach weiterem stundenlangem Warten doch noch weiter. Nachdem uns allen spätestens seit Samstag bewusst war, wie gewalttätig die deutsche Polizei vorgeht, sind wir von Anfang an in Ketten marschiert um mögliche Angriffe von Seiten der Polizei besser abwehren zu können. Am Rand kam es immer wieder zu Provokationen, es gab auf dieser Demonstration jedoch keine großen Ausschreitungen. Durch unser sehr militantes Auftreten, konnten wir es schaffen die Provokationen abzuwehren und die Lage nicht eskalieren zu lassen. Nachdem wir kurz vor der Rostocker Innenstadt waren, wurden wir erneut aufgehalten. Der Grund: Die Polizei rechnete nur mit 2.000 DemonstrantInnen, es sind jedoch 10.000 und deshalb dürfen wir nicht durch die Stadt, so die Begründung der Polizei. Die Demonstration wird daraufhin aufgelöst und wir bewegen uns wieder zurück ins Camp. Da die Polizei erneut die Züge nicht fahren ließ, um Anti-G8-AktivistInnen zu schikanieren, mussten wir einen etwas längeren Fußmarsch zurück ins Camp antreten.

Tag 5 – Dienstag: Dienstags war der Aktionstag gegen Krieg und Besatzung. Dazu gab es mehrere Kundgebungen. Eine fand vor der Zentrale von Caterpillar statt – jener Firma, deren Bulldozer auch in Palästina eingesetzt werden, um palästinensische Häuser niederzuwalzen. Danach ging es noch zum Rüstungskonzern EADS – jener Konzern, der auch die Eurofighter für die österreichische Bourgeoisie herstellt.

Tag 6 – Mittwoch: Am Mittwoch fingen die Blockaden jener Straßen an, die den Reichen und Mächtigen als Zufahrtsstraßen dienten. Auch hier nahmen wieder über 15.000 Leute teil. Während diverse NGO’s und kirchliche Organisationen jene Straßen blockierten, die nicht für den Transport der G8 und ihres Personals gedacht waren, blockierten ein Großteil der AktivistInnen jene Straßen, die wirklich als Transportwege genutzt werden sollen. Ein mächtiges Zeichen, des radikalen Charakters der Bewegung. Nicht nur Großdemonstrationen, sondern auch Aktionen, die darüber hinaus gehen und direkten Einfluss auf das Gipfeltreffen haben, wurden mit massiver Beteiligung initiiert.

Wir versuchten an den Blockaden beim Flughafen Rostock / Laage teilzunehmen. Durch logistische Probleme brachten uns die Busfahrer jedoch an einen falschen Ort in der Mitte von Nirgendwo. Nichtsdestotrotz erwarten uns schon mehrere Polizisten, die alles genauestens kontrollieren. Genauestens werden Rucksäcke durchsucht, die AktivistInnen abgetastet und auch das Trinkwasser wird kontrolliert (um sicherzugehen, dass sich kein Benzin oder keine Säure in den Flaschen befindet, möchte die Polizei, dass man selbst einen Schluck davon trinkt). Auch Journalisten sind vor Ort und ich habe die Möglichkeit ein 20-minütiges Interview für den Fernsehsender France 24 zu geben. Da die Busse in der Zwischenzeit wieder abgefahren sind, blieb uns nichts anderes über, als auf die nächsten Busse zu warten, und zu versuchen, zu anderen Blockaden zu gelangen. Vor allem Bad-Doberan – ein Ort nahe zu Heiligendamm und somit auch zum Sicherheitszaun – scheint sehr interessant zu sein. Berichten zu folge, sollen mehrere Tausend Menschen die Straße vor dem Zaun blockieren. Die Busfahrer, die ihre Zeit und ihre Busse extra für den Transport von Anti-G8-AktivistInnen zur Verfügung gestellt haben, holen uns schlussendlich wieder ab. Da es jedoch einen akuten Bedarf an Busfahrern verteilt in ganz Rostock gab, mussten wir ca. 2 Stunden warten. Der Bus bringt uns wieder zurück zur Schnellbahnstation, bei der wir wieder eine halbe Stunde mit Warten verbringen. Als wir endlich wieder am Rostocker Hauptbahnhof angekommen sind, waren insgesamt 10 Stunden seit dem Verlassen des Camps vergangen. Doch nun waren wir froh, nicht mehr weit vom Ziel entfernt zu sein. Der Zug nach Bad-Doberan sollte in 10 Minuten kommen. Noch Zeit für eine Zigarette und dann geht es weiter…dachten wir! Doch die deutsche Polizei ließ anordnen alle Züge von Rostock nach Bad-Doberan einzustellen und die DemonstrantInnen dadurch zu hindern an den Blockaden teilzunehmen. Ja, so sieht ihre Demokratie aus. Um für 8 Leute einen ruhiges Treffen gewährleisten zu können, wird der öffentliche Verkehr für Tausende schlicht und einfach eingestellt. Nach vielen Versuchen irgendwie anders unser Ziel zu erreichen, müssen wir schließlich aufgeben und haben beschlossen, wieder ins Camp zurückzufahren. Doch in dem Moment, als alle schon aufbrechen, hören wir eine erneute Durchsage, dass die Züge nun doch wieder fahren. Alle stürmen wieder zurück auf den Bahnsteig und steigen nun in den Zug ein. Nachdem wir – zusammen mit ca. 50 anderen AktivistInnen in Bad-Doberan angekommen sind, dauert es noch eine halbe Stunde bis wir die Blockaden zu Fuß erreicht haben. Die erste Blockade auf die wir treffen ist eine Sitzblockade, die ca. 200 Leute umfasst. Wir beschließen uns dieser Blockade anzuschließen und setzen uns ebenfalls auf den Boden. Auch hier ist eine große Anzahl von Journalisten vor Ort. Ich kann wieder zwei Interviews geben – eines davon für KBS (Korean Broadcast System) und eines für den deutschen Fernsehsender ARD. Nachdem wir bemerken, dass ca. 800 Meter hinter uns eine weitaus größere Blockade stattfindet (mit ca. 1.500 AktivistInnen) entschließen wir uns dort hinzugehen. Dort angekommen, bemerken wir, dass wir fast direkt vor dem Sicherheitszaun um Heiligendamm stehen. Natürlich mit massiver Polizeibewachung. Überall stehen vermummte und schwer bewaffnete Polizisten, Helikopter kreisen permanent über unseren Köpfen und landen am angrenzenden Feld um zu provozieren. Nichtsdestotrotz scheint die Stimmung unter der Polizei relativ ruhig zu sein. Eine wichtige Lehre, die man aus allen Ereignissen rund um den G8-Gipfel ziehen konnte ist, dass Situationen manchmal von einem zum anderen Moment sich um 180° ändern können. So auch dieses mal. Auf einmal durchläuft die Polizei die erste Blockade und läuft nach hinten zur anderen Blockade. Wir wollen die Blockade verteidigen, bilden Ketten und stellen uns vorne hin. Doch unglaublicherweise, werden wir von den größtenteils pazifistischen Kräfte der Sitzblockade davon abgehalten, die Blockade zu verteidigen! Sie haben uns angeschrien, ausgebuht und uns aufgefordert uns nicht zu verteidigen. Wir entschieden die Blockade zu verlassen. Wieso sollten wir einfach unseren Kopf hinhalten, damit die Polizei nur ja gut darauf einprügeln kann? Immerhin gibt es ein Recht auf Notwehr, dass uns diese pazifistischen Kräfte jedoch verweigert haben. Zusätzlich gibt es hier auch noch einen politischen Punkt. Alle Aktionen, die rund um den G8-Gipfel passiert sind, bilden ein bestimmtes Bewusstsein innerhalb der ArbeiterInnenklasse und der Jugend. Wenn Bilder um die Welt gehen, bei denen AktivistInnen einfach da sitzen und sich von der Polizei verprügeln lassen, so zeigt dies die Bewegung als schwach und unfähig sich zu verteidigen. Hätten wir aber zusammen die Blockade solange wie möglich verteidigt, hätte dies einen entschlosseneren Charakter der Bewegung gezeigt. Es hätte ausgesagt: Wir sind hier im Recht, wir sind im Recht, wenn wir das Treffen der 8 größten Verbrecher dieser Welt stören wollen, wir sind im Recht, wenn wir hier unser Recht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen…und wir sind auch entschlossen dieses Recht gegen die Attacken der deutschen Polizei, die im Dienste jener 8 Verbrecher handelt, zu verteidigen. So nehmen wir den Zug zurück ins Camp und bereiten uns auf den nächsten Tag vor, an dem auch Blockaden stattfinden sollen.

Als wir zurückfahren wollen, wird uns mitgeteilt, dass die Polizei unser Camp umstellt hat, es betreten und die Zelte durchsuchen möchte. Es gelingt jedoch durch Blockaden vor dem Camp diese Provokation abzuwehren. Als wir wieder zurück kommen, hat sich die Polizei schon zurückgezogen.

Insgesamt war der Tag ein großer Erfolg. Mehr als 15.000 AktivistInnen nahmen an den Blockaden teil, die es geschafft haben, den Gipfelbeginn zu verzögern.

Tag 7 – Donnerstag: Da auch heute wieder Blockaden stattfinden sollen, machen wir uns erneut auf den Weg vom Camp Richtung S-Bahn Station. Doch bevor wir noch die Station erreichen, werden wir von der Polizei aufgehalten und durchsucht. Einer unserer Genossen wird daraufhin verhaftet. Wir lassen ihn an dieser Stelle selbst berichten.

Wie jeden Tag, gibt es auch heute wieder massive Polizeipräsenz rund um das Camp sowie auch bei der S-Bahn Station Rostock Bramow, die am nächsten zum Camp gelegen ist. Schon in den vorigen Tagen durchsuchte die Exekutive einige unserer Genossen. Besonders haben sie sich auf ImmigrantInnen eingeschossen, die von Seiten der Polizei provoziert und beleidigt wurden. Heute sind wir mit ca. 25-30 Personen auf dem Weg zur Station und heute werden alle von der Polizei durchsucht. Von Anfang an ist klar, dass dies eine bewusste Taktik ist, um AktivistInnen davon abzuhalten, bei den Blockaden und sonstigen Demonstrationen teilzunehmen. Aus diesem Grund gestalten sich die Durchsuchungen auch sehr langwierig. Alles wird genauestens durchsucht, mehrmals angesehen, Personalien werden überprüft, etc. Auch das Trinken aus den Wasserflaschen ist wie auch schon davor Teil der Durchsuchung. Als ich an der Reihe bin, fordern mich die Beamten auf, meinen Rucksack zu leeren und den Inhalt auf dem Boden auszubreiten. Zu dieser Zeit habe ich eine Kappe auf und trage eine Sonnenbrille, da es an die 30°C hat. Zusätzlich habe ich in meinem Rucksack auch noch ein Tuch und eine Reihe von REVOLUTION-Zeitungen. Nachdem die Beamten dies gesehen haben, war sofort klar, dass ich daraufhin in Gewahrsam genommen werde. Auch andere Personen, die durchsucht wurden, hatten ähnliche Gegenstände bei sich. Insgesamt wurden jedoch mit mir „nur“ 5 Personen festgenommen. Es war offensichtlich, dass die Polizei vereinzelt Leute herausgreifen wollte, um den Rest der Gruppe einzuschüchtern. Dieses Schicksal ereilte auch mich. Nachdem die Beamten sich einig waren, dass man mich festnehmen sollte, musste ich mir noch eine Reihe von Provokationen gefallen lassen. So schrie ein Polizeibeamter in meine Richtung: „Hat es dir Spaß gemacht am Samstag? Macht es dir Spaß mit Steinen zu werfen und kleine Kinder zu verletzen?“ Ich wurde also nur aufgrund der Tatsache, dass ich eine Kappe, eine Sonnenbrille und ein Tuch bei mir hatte, als „steinewerfender Chaot“ hingestellt. Nachdem der Papierkram erledigt war, musste ich mich in einen Polizeibus setzen und wurde dann in die Gefangensammelstelle in der Industriestraße in Rostock gebracht. Zwei Polizisten saßen mir gegenüber, schenkten mir jedoch kaum Beachtung, sondern unterhielten sich lieber über ihre weiblichen Kolleginnen. Sprüche wie: „Jaja, die Helge hat schon ordentlich etwas vorzuweisen“, oder „Ich muss den ganzen Tag hinter der fahren. Typisch Frau am Steuer“, als es um die Autofahrgewohnheiten des vorderen Polizeibusses, der von einer Frau gelenkt wurde ging, musste ich mir die ganze Fahrt über anhören. Beim Betreten der sogenannten Gefangenensammelstelle (GESA), war ich zuerst sehr überrascht. Ich rechnete damit, dass man mich auf eine Polizeistation bringen und dort in Gewahrsam nehmen würde. Die GESA hingegen befand sich in einer eigens dafür angemieteten Lagerhalle, in der ca. 20 Käfige aufgestellt waren. Auch wenn meine erste gedankliche Reaktion auf das optische Erscheinungsbild der GESA „Guantanamo“ war, so ist es doch grundfalsch diese GESA’s mit Guantanamo zu vergleichen, wie es die Event-geilen Medien zurzeit tun. In Wirklichkeit wäre dies eine gefährliche Untertreibung. Denn auch wenn es diverse Menschenrechtsverletzungen in der GESA gab, so kommt dies nicht einmal annähernd an die Folter in Guantanamo heran. Bevor ich in meine Zelle gebracht wurde, musste ich noch einige Stationen durchlaufen. Fotografieren, Durchsuchen (inkl. Schuhe ausziehen), Datenerfassung, Abgabe meiner Sachen (inkl. Gürtel), etc. Bei all diesen Stationen erkundigte ich mich, wann ich einen Rechtsanwalt sprechen könnte. Sonst sagte ich nichts, auch wenn mich der Polizist, der mich durch die Stationen „begleitet“ hat, in ein Gespräch verwickeln wollte, um Informationen aus mir herauszuholen. Bei jeder Station wurde ich auf die nächste verwiesen, bis ich dann zu meiner Zelle (Zelle 8) geführt wurde. Als ich auf dem Weg dorthin noch einmal nachfragte, wann ich einen Rechtsanwalt sprechen könne und ich wieder vertröstet wurde, entschied ich mich, nicht in die Zelle zu gehen, bis ich einen Anwalt sprechen konnte. Ich blieb also vor der Zelle stehen. Nachdem mich der Polizeibeamte zweimal erfolglos in die Zelle drängen wollte, konnte ich mein Recht auf ein Telefonat wahrnehmen. Im Nachhinein betrachtet war diese Taktik sehr gut. Ich erfuhr nämlich, von Leuten aus meiner Zelle, dass ihnen für bis zu 6 Stunden das Recht auf ein Telefonat verwehrt wurde. Kurz vor der Zelle waren Gummimatten gelagert. Ich konnte mir eine nehmen und betrat nach dem Gespräch mit dem Anwalt die Zelle und legte mich auf den Boden, der stellenweise sehr schmutzig und nass war. Insgesamt waren wir 13 Leute in der Zelle, in manchen waren jedoch bis zu 20 Leute eingesperrt. Die Zellen glichen Käfigen, die oben mit einem vermaschten Seil zugemacht wurden und hatten eine ungefähre Größe von 25m2. Sie bestanden aus 2 aneinandergeschlossenen Elementen in der Breite und 3 Elementen in der Länge. Jedes dieser Elemente war ca. 2m lang, zwischen ihnen waren noch kleine Zwischenräume. Die anderen Leute in meiner Zelle wurden bei Blockaden festgenommen. Alle wussten nicht, wann sie wieder freigelassen werden, bzw. wie die weitere Vorgehensweise aussieht. Die GESA betrat ich um 10.51, die Zelle gegen halb 12. Zu dieser Zeit, hielt man mich insgesamt schon ca. 3 Stunden fest (Durchsuchungen, Wartezeiten, Transport, etc.). Zwischen 3 und 4 Uhr Nachmittags fingen die Polizeibeamten von vorne (meine Zelle war die vorletzte in diesem Gang) an, alle Gefangenen freizulassen. Von Zelle zu Zelle riefen sie die einzelnen Namen auf und ließen die Leute frei. Bei meiner Zelle angekommen machten sich schon alle bereit und warteten bis ihre Namen aufgerufen wurden. 12 Namen wurden aufgerufen und entlassen. Ich wurde weiterhin festgehalten. Rund um mich herum war auf einmal alles leer, ich war nun alleine. Die 25m2 wirkten nun um einiges geräumiger. Ich erkundigte mich, warum alle anderen (darunter auch jene Leute, die mit mir aus demselben Grund „Mitführen von Vermummungsgegenständen“ festgenommen wurden), schon freigelassen wurden und ich noch festgehalten werde. Man wollte mir keine Auskunft erteilen, sondern versuchte mich wieder auszufragen, um an möglichst viele Informationen zu kommen. Ich brach das Gespräch ab und kam zur Schlussfolgerung, dass es sinnlos ist weiter zu fragen. Ich legte mich hin und wartete. Es wurde mir klar, warum ich länger festgehalten wurde, war REVOLUTION am Samstag an vorderster Front und hat die Demonstration defensiv gegen die Polizeiangriffe verteidigt, d.h. wir haben Ketten gebildet um den Rest der Demonstration zu schützen. Die Polizei versuchte höchstwahrscheinlich, mich auf Videoaufnahmen, die sie ständig während der Demonstration machen zu identifizieren. Circa 4 Stunden später, kamen zwei Polizeibeamten zu meiner Zelle und sagten: „So, du wirst jetzt einem Richter vorgeführt“. Auch wenn ich sehr gespannt auf die gesetzliche Grundlage für die Festnahme von Personen, die in ihrem Rucksack eine Kappe, eine Sonnenbrille und ein Tuch mitführen war, verlangte ich vorher noch einen Anwalt zu sprechen. Dies wurde mir gewährt und die Beamten führten mich zu einem Mitglied des Legal-Team, AnwältInnen, die freiwillig und kostenlos für die Gefangenen arbeiten. An dieser Stelle sei auch ein Lob an die Rechtshilfe ausgesprochen, die sehr kompetent war. Als ich mit meiner Anwältin sprach, benachrichtigte sie mich nur, dass meine Haftentlassung vor 5 Minuten bewilligt wurde und machte noch Druck auf die Polizei, dass diese mich sofort entlassen müsse. Es gab nämlich Fälle nachdem Leute noch für Stunden gefangen gehalten wurden, obwohl die Haftentlassung schon durchgegangen war. Bevor ich die GESA um 19.45 endgültig verlassen konnte, wurde mir noch ein Platzverweis für Rostock und Bad-Doberan erteilt. Meine Kappe, meine Sonnenbrille und mein Tuch behielt sich die Polizei.

Nachdem wir von der Entlassung unseres Genossen gehört haben, ließen wir den Abend noch mit Diskussionen ausklingen.

Tag 8 – Freitag: Nachdem der letzte Tag für uns im Camp ist, bauen wir unsere Zelte ab und helfen beim Abbau des großen Zeltes unseres Bündnisses (Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive). Nachdem alle praktischen Aufgaben erledigt sind, treten wir die Reise zurück nach Wien an. Es gibt noch Verabschiedungen von allen Genossinnen und Genossen, dann fahren wir zum Busbahnhof in Berlin und von dort mit dem Bus nach Wien. Nach 10 Stunden Zugfahrt freuen sich alle wieder auf ein normales Bett und eine normale Dusche. Auch wenn wir müde sind, fahren wir mit einem Gefühl des Sieges nach Wien zurück. Und nicht nur uns geht es so, auch tausende andere AktivistInnen wissen: Diese Woche war ein Erfolg für die Bewegung und ein Rückschlag für den deutschen Imperialismus. Trotz massiven Polizeiaufgebots hat man es nicht geschafft, die Bewegung aufzuhalten oder Blockadeaktionen zu verhindern. Die Kämpfe von Rostock müssen jetzt weitergetragen werden, und in konkrete Aktionen auch hier in Österreich umgewandelt werden. Der drohende Krieg gegen den Iran, die Bestrebung der EU (und auch Außenministerin Plassnik) die EU-Verfassung wieder zu beleben und auch die Abschaffung des 8-Stunden Tages. All diese Dinge sind nur die konkrete Praxis des Systems der G8, des Systems des Kapitalismus. Deshalb kämpfen wir weiterhin nicht nur gegen die G8, sondern gegen alle Angriffe die im Interesse der Bourgeoisie und auf Kosten der Arbeiterklasse durchgepeitscht werden. Erst wenn der Kapitalismus abgeschafft ist, wird es auch keine G8 mehr geben