Was sind Femizide und was dagegen tun?

Laut offiziellen Zahlen waren weltweit 80% der Mordopfer im Jahr 2017 männlich. Wieso beschäftigen wir uns dennoch mit dem Phänomen Femizid? Das Wort wurde seit 1976 von der Soziologin Diana Russel geprägt, das zentrale Element dabei ist, dass es nicht einfach nur um Frauen geht die ermordet werden, sondern um Frauen die aufgrund ihres Geschlechts ermordet werden. Dieses Spektrum geht von Mord im Rahmen sexueller Gewalt bis hin zu Ehrenmorden. Motive sind zum Beispiel die Nichterfüllung „weiblicher Pflichten“, die Überschreitung „weiblicher Grenzen“, der Vorwurf der Hexerei, zu niedrige Mitgift oder schlicht und ergreifend die Tatsache, dass man kein männlicher Nachfolger ist, der das Familienerbe fortführen kann.

Die statistische Erfassung von Femiziden ist schwierig. Ein Aspekt ist, dass nicht alle Femizide überhaupt angezeigt werden. Auf globaler Ebene passiert es immer noch, dass Frauen und Mädchen einfach verschwinden. Ein weiterer Aspekt ist die Erfassung von Femiziden als solchen – nicht alle Länder erfassen in der Statistik die Hintergründe und Motive ausreichend um diese klar darstellen zu können. Dennoch gibt es einige aussagekräftige Zahlen. Bei 64% der Morde durch Familienmitglieder oder (Ex-)Partner*innen handelt es sich bei den Opfern um Frauen. Bei Morden durch (Ex-)Partner*innen sind es sogar 82%. 2017 wurden weltweit 87.000 Tötungsdelikte mit weiblichen Opfern dokumentiert – 50.000 davon passierten im Umfeld von Familie oder (Ex-)Partner*innen.

Obwohl Femizide natürlich auch von Fremden begangen werden können, so findet die überragende Mehrzahl doch im unmittelbaren Umfeld statt – entgegen der weitläufig vertretenen  und auch oftmals rassistisch konnotierten Ansicht, es handle sich um Fremde die nachts aus der Ecke hervorspringen. Meist sind es auch keine spontanen Eingebungen sondern haben eine lange Vorgeschichte von häuslicher Gewalt und/oder Unterdrückung.

Es gibt bereits einige Gesetze und Vereinbarungen die sich mit Themen der geschlechterspezifischen Gewalt bis hin zum Mord beschäftigen. Doch Femizide sind kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Phänomen. Auch wenn Medien noch so oft die Persönlichkeiten der Täter in den Vordergrund stellen und schon fast um Verständnis bitten für den armen Mann der durch Eifersucht, psychische Probleme oder seine schwere Lebenssituation dazu getrieben wurde, die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Auch Frauen haben es oft schwer im Leben – dennoch bringen sie wesentlich seltener deswegen gleich andere um. Auffällig in der medialen Berichterstattung ist auch die rassistische Komponente. Wird von Femiziden in Indien oder der Türkei oder auch von Femiziden in Österreich (das leider sich mit an der europäischen Spitze befindet, wenn es um Femizide geht) durch Täter mit Migrationshintergrund berichtet, werden diese nicht selten als solche erkannt. Ist der Täter jedoch beispielsweise Österreicher oder Deutscher wird sein Einzelschicksal in den Vordergrund gestellt oder allgemein bagatellisierend von Familiendramen, Tragödien und dergleichen gesprochen. Am Ende muss die Erkenntnis bleiben, dass in einer Gesellschaft wo Frauen systematisch unterdrückt und oftmals ihre Rolle auf die der Mutter und Geliebten beschränkt wird, Femizide nur ein weiterer Ausdruck dieser Unterdrückung sind.

Die Corona-Pandemie mit Lockdowns und Quarantäne führte zu einem massiven Anstieg der Gewalt gegen Frauen und Kinder. Doch immer wieder erheben sich Frauen gegen die schockierende Zahl an Femiziden, gegen Toleranz oder sogar Befürwortung von Regierungen und Untätigkeit von Behörden. Ein bekanntes Beispiel war die „Ni una menos“-Bewegung in Lateinamerika, wo die Rate an Femiziden besonders hoch ist. Derzeit ist es insbesondere die Lage in der Türkei die das Thema präsent machen, nachdem der grausame Mord der 27-Jährigen Studentin Pinar Gültekin landesweite und in weiterer Folge internationale Proteste gegen Femizide ausgelöst hat. Die massiv steigende Zahl von Frauenmorden (2011: 121, 2019: 474) und die Ignoranz der Behörden in Kombination mit frauenfeindlichen Gesetzen und der generell extrem konservativen und reaktionären Haltung von Präsident Erdogan und seiner AKP sowie dem angedachten Ausstieg aus der Istanbul-Konvention treiben Frauen wochenlang auf die Straße.

Solche Proteste überall auf der Welt schärfen das Bewusstsein für Femizide als gesellschaftliches Phänomen, und das ist ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus müssen wir weitere Schutzräume für Frauen fordern. Gleichzeitig dürfen wir die Verantwortung für den Kampf gegen geschlechterspezifische Gewalt nicht dem Staat überlassen, der Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen ist notwendig! Als Marxist*innen müssen wir den Kampf gegen Femizide mit dem Kampf gegen weibliche Unterdrückung und dem kapitalistischen System verknüpfen. Hier stellt die Vergesellschaftung der Hausarbeit, der Kinderbetreuung und der Pflege eine zentrale Forderung dar denn kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung – keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus!


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