Gegen Krieg und Besatzung – für ein befreites Palästina für alle!

Am Morgen des 7. Oktober, am Jahrestag des Jom Kipppur Krieges, startete der bewaffnete Flügel der Hamas seine größte Offensive seit langem. Mit Raketen, Bodentruppen und Gleitern überwanden sie die Zäune um Gaza und griffen die umliegenden Dörfer an. Dabei kam es zu Tötungen und Entführungen, auch von Zivilist*innen. Die teils grausamen Bilder und Videos lösen Angst und Betroffenheit aus, dennoch werden sie hier in Österreich meist aus ihrem Kontext gerissen. Der Kontext in diesem Fall sind Jahrzehnte an Besatzung, Apartheid und auch ebensolcher Gewalt durch Militär und israelische Siedler*innen. Uns ist bewusst, dass solche Ereignisse immer sehr emotional machen und auch die Debattenkultur um dieses Thema sehr anstrengend ist. Trotzdem werden viele Aspekte des Konflikts vom Großteil der Medien und auch der Linken verschwiegen oder verfälscht, deswegen finden wir es wichtig diese hier nochmal zu beleuchten. Damit auch eine Triggerwarnung für Gewalt, Besatzung und Rassismus die als Themen näher, ohne blutigen Details, angesprochen werden.

Für uns sind 3 Dinge klar:

  1. Antiimperialistischer Kampf ist immer eine Klassenfrage. Die israelische Bevölkerung profitiert vom Apartheidsystem, ist aber nicht die Gruppe, die Schuld an der Besatzung ist. Das sind die Herrschenden – die Kapitalist*innen. Die Zusammenführung des Kampfes der israelischen und palästinensischen Unterdrückten muss weiter ein Ziel für eine erfolgreiche Revolution und eine säkuläre Einstaatenlösung sein.
  2. In diesem Konflikt sind nicht beide Seiten gleich schuld. Mit der Geschichte an Gewalt und Unterdrückung sind die Kräfteverhältnisse innerhalb Israel und Palästinas nicht auf einer Ebene. Die Gewalt die jetzt passiert hat ihren Ursprung in der Gewalt die seit Jahrzehnten von Israel und seinen Verbündeten ausgeht.
  3. Die Führungsrolle der Hamas gehört angegriffen und sie selbst entmachtet. Die Palästinensische Befreiungsbewegung ist aber nicht durch sie delegitimiert und wir können die Führung auch nur angreifen, wenn wir als internationale Linke ein Teil der Bewegung sind. Es müssen bessere Alternativen praktisch aufgezeigt werden.

Weder Massaker noch Terroranschläge sind ein geeignetes Mittel zur Befreiung. Das ist für uns Kommunist*innen klar. Sie sind grausam und individualistisch. Wenn wir die Situation aber bewerten wollen, dürfen wir nicht bei der bürgerlichen Moral verharren, sondern müssen uns an der materiellen Realität orientieren. Das heißt sich anzuschauen, woher diese Gewalt kommt, von wem sie ausgeübt wird und was ihre Rolle in einem Kontext von jahrzehntelanger Unterdrückung ist. Die Gewalt durch die Hamas, die wir jetzt sehen, ist nämlich Teil des Apartheidsystems im besetzten Palästina. Sie ist die zweite Seite der Medaille, sie ist das, was langjährige Besatzung und Unterwerfung unweigerlich hervorbringen. Genauso wie wir verurteilen können was für Mittel hier eingesetzt werden, können wir auch sagen, dass Revolten nicht friedlich sein werden. Die Frage gegen wen sich die Gewalt gezielt richtet ist aber nicht unrelevant und stellt auch die Frage wie eine Überwindung der Umstände erreicht werden kann. So war es schon zu Zeiten der antiken Sklavenrevolten, so war es bei den Bauernaufständen im Mittelalter und so sind auch antiimperialistische Freiheitskämpfe nicht frei von Gewalt. Das macht diese Kämpfe an sich aber nicht weniger notwendig.

Es ist widerlich, wie die Ermordung israelischer Zivilist*innen zum Vorwand genommen wird, um einen systematisch rassistischen Apartheidstaat zu legitimieren. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Angriff gegen Israel automatisch gut und fortschrittlich ist. Die Massakrierung und Entführung von israelischen Zivilist*innen und der Einsatz von sexualisierter Gewalt als Waffe sind nicht fortschrittlich. Die Hamas ist reaktionär und fundamentalistisch. Das delegitimiert aber den palästinensischen Befreiungskampf als solches nicht. Wir wissen, dass viele jüdische Menschen nach Israel geflohen oder gezogen sind, in der Hoffnung dort einen vermeintlichen Schutzraum zu finden. Aber dieser Schutzraum kann und darf nie zum Preis der Kolonisierung und systematischen Unterdrückung von Palästinenser*innen existieren. Der israelische Staat gibt vor, jüdisches Leben zu schützen, sendet aber hunderttausende jüdische Menschen in einen Krieg, den sie durch ihr eigenes Tun dann noch mehr anfeuern. Tatsächlich beschützt der israelische Staat nur die Interessen des Kapitals und der imperialistischen Staaten, die hinter ihm stehen. Jüdisches Leben wird geopfert dafür! Die einzige Kraft, die israelisches und palästinensisches Leben wirklich schützen kann sind die vereinten unterdrückten Klassen der Region. Weder der israelische Staat noch die Hamas oder andere rechts-autoritäre Gruppen.

Als Linke haben wir die schwierige Aufgabe immer und überall gegen Unterdrückung zu kämpfen. „Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ Wer denkt, dass man das auch friedlich und lieb machen kann, lebt aber weit entfernt von der Realität. Denn diese ist nun mal grausam und gewaltvoll. Um sich vollkommen zu befreien, braucht es also auch immer Gewalt. Dass diese nicht immer zielgerichtet ist, ist dabei zugleich eine tragische, aber auch ganz einfach eine reale Tatsache. Die Verantwortung dafür suchen wir allerdings bei den Unterdrückern, den IOF-Kommandanten, der israelischen Regierungsspitze, den westlichen Militärbündnissen. Sie sind es, die diese Verhältnisse Tag für Tag einzementieren und verfestigen. Sie sind es, die zuerst die Gewalt an der palästinensischen Bevölkerung auslassen und im zweiten Schritt die Gewalt an der israelischen Zivilbevölkerung heraufbeschwören.

Mitverantwortlich für die Gewalt sind also auch die EU und die NATO, sowohl als internationale Organisationen, als auch als einzelne Staaten. Dazu gesellen sich unter anderem auch die mörderischen Regimes aus der Türkei und Aserbeidschan. Sie gehen Militär- und Rüstungsbündnisse ein und verkaufen sich gegenseitig Waffen und Sicherheitstechnologie für Polizei, Grenzschutz und Militär. Sie rüsten sich gegenseitig hoch. Die politischen Verbindungen sieht man auch jetzt sehr deutlich. Fast alle Parteien und Regierungen in so ziemlich allen westlichen Ländern haben Israel die volle Unterstützung zugesichert. Österreich hat jetzt auch jegliche Entwicklungshilfe und -Zusammenarbeit mit Gaza beendet. Israel habe das Recht sich zu verteidigen, sagen sie. Was sie meinen ist kollektive Bestrafung der Menschen in Gaza und in der gesamten Region.

Als Reaktion auf den Angriff der Hamas, erklärte Israel den Kriegszustand, doch der Krieg geht schon viel länger. Die Besatzung und das Vorenthalten von Grundrechten sind ein Dauerzustand. Besonders in den letzten Jahren nahm auch die Gewalt durch israelische Siedler*innen in der Westbank stark zu. Gaza selbst besteht zu einem großen Teil aus Flüchtlingslagern, mit Menschen und Familien, die aus den umliegenden Gebieten fliehen mussten. Sie wurden systematisch durch ethnische Säuberungen vertrieben und dann besetzt. Ab 2007 kam dann die Totalblockade von Gaza, was zu einer katastrophalen humanitären Situation geführt hat. Das meiste Wasser ist nicht trinkbar und die Mehrheit lebt unter der Armutsgrenze. Viele nennen Gaza das größte Freiluftgefängnis der Welt aufgrund der ständigen Überwachung und der vollkommenen Abhängigkeit von außen.

Am Sonntag drehte Israel Gaza Strom, Nahrung und Treibstoff ab und begann (auch schon davor) tonnenweise Bomben abzuwerfen. Über einem kleinen dichtbesiedelten Streifen Land, mit einer mehrheitlich minderjährigen Bevölkerung. Pro Quadratkilometer leben hier 3-4 mal mehr Menschen als in den größten Metropolen der Welt, über die Hälfte ist unter 15 Jahren. Die Versorgung mit Wasser, Essen und Medikamenten ist katastrophal. Immer. Seit Jahrzehnten. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei den Opfern dieser unsäglichen Gewalt. All jenen die wehrlos als politische Spielbälle und Zahlen auf einem Bildschirm missbraucht werden. Allen, die ihr Leben lang unter dem grausamen Kolonialregime leiden. Ein Ende der Gewalt für alle kann es aber nur geben, wenn die Besatzung beendet wird. Dazu müssen die unterdrückten Klassen der gesamten Region ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Ihr Widerstand ist legitim und notwendig, wenn es jemals Frieden geben soll. Für ein freies, säkulares, sozialistisches Palästina für alle, vom Fluss bis zum Meer!

Dazu braucht es politischen Kampf einerseits mittels Streiks und Demonstrationen, aber auch zielgerichtete militärische Angriffe auf die Regierung und Besatzungsarmee. Linke Gruppen, die für ein freies Palästina unter der Kontrolle aller Arbeiter*innen und Bauern*Bäuerinnen zwischen Jordan und Mittelmeer kämpfen, müssen wir explizit unterstützen. Vollkommen befreit werden die Menschen erst sein, wenn sie auch Kontrolle über ihre Produktionsmittel haben. Abhängigkeit von den Regimes im Iran und in der Türkei wird keine Freiheit bringen. Stattdessen braucht es Bündnisse mit dem kurdischen Befreiungskampf und den Arbeiter*innen der umliegenden Länder sowie in ganz Westasien. Wichtig ist auch eine Umverteilung von Land und Ressourcen, damit die palästinensische Bevölkerung, inklusive aller Geflüchteten in der Diaspora, ein freies, selbstbestimmtes Leben führen kann. Und ja, auch Frauenrechte und Rechte für Queers für alle kann es erst geben, wenn die palästinensischen Frauen und Queers von der Besatzung befreit sind.

Dass die Hamas als Organisation rechts, autoritär und nicht an wahrer Befreiung interessiert ist, sollte klar sein. Aber am palästinensischen Befreiungskampf und an der jetzigen Offensive sind auch andere, auch linke Gruppen beteiligt. Darüber hinaus auch große Teile der „unorganisierten“ Jugend. Sie sollten wir unterstützen in ihrem Kampf für ein freies, selbstbestimmtes Palästina. Dass sich die Diskussionen wiedermal nur um die Hamas drehen, ist auch Ausdruck einer rassistischen Verallgemeinerung. Auch das Abstempeln der gesamten Bewegung als terroristisch ist ein gefährliches rassistisches Stereotyp. Es wird in ganz Europa verwendet um Palästinenser*innen und Muslim*innen zu unterdrücken und abzuschieben. Eine unterdrückte Bevölkerung muss immer das Recht haben sich zu wehren, gegen Besatzung, Blockade und Genozid. Sexualisierte Gewalt als Waffe und Angriffe auf Kinder sind dabei ausnahmslos zu verurteilen. Und auch bei Angriffen auf Zivilisten müssen wir das immer tun. Wenn sie trotzdem passieren muss aber klar sein, woher diese Gewalt ursprünglich kommt und damit auch wie man sie schlussendlich überwindet.

Für uns in Österreich heißt das, dass wir uns gegen die militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Israel einsetzen müssen. Es braucht eine breite Bewegung der Jugend und der Arbeiter*innen für die Unterstützung der palästinensischen Befreiungsbewegung und der antizionistischen Linken weltweit. Mit klarer Haltung gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Imperialismus. Wir müssen uns vorbereiten, dass auch in Österreich sowohl antisemitische als auch rassistische Angriffe zunehmen werden. Wir sehen außerdem speziell im deutschsprachigen Raum wie palästinasolidarischer Aktivismus systematisch unterdrückt wird. Um uns dagegen zu wehren braucht es eine starke Linke, die wirklich radikal ist. Die sich gegen rechte Angriffe behaupten kann und dabei nicht auf die Polizei oder die imperialistischen Staaten vertraut, sondern sie bekämpft. Gegen die Kriminalisierung und Verleumdung der palästinensischen Solidaritätsbewegung! Für selbstorganisierten Schutz für die jüdische Community, damit sie nicht nur auf den Schutz des Staates hoffen muss.

Wir sind entsetzt über die rassistischen Statements der Bürgerlichen, in denen die Gräueltaten an jüdischen Zivilist*innen genutzt werden um einen Kolonialstaat zu rechtfertigen. Im gleichen Atemzug werden palästinensische Menschen entmenschlicht, ihr Leben und Zukunft als zweitrangig dargestellt. Dem setzen wir die Perspektive der vereinten Unterdrückten der Region und der Solidarität der internationalen Arbeiter*innenklasse entgegen. Hoch die internationale Solidarität! Freiheit für Palästina!

Zuletzt möchten wir uns aber auch noch an die „Linke“ in Österreich und Deutschland wenden. Denn keine paar Stunden hat es gedauert bis große Teile der „radikalen Linken“ sich einen Wettstreit geliefert haben, wer die rassistischsten Statements hochkotzt. Ihr widert uns an. Ihr entsetzt uns. Eure Statements könnten 1:1 vom Nehammer sein. Also bitte, hört auf. Wir brauchen euch nicht. Denn für viele Menschen ist die Welt kein Ort des friedlichen Zusammensitzens. Wer sich lieber in akademischen Scheindebatten verrennt als den Verdammten dieser Erde zur Seite zu stehen, hat in einer Linken keinen Platz.


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